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Die Insel Der Tausend Quellen

Die Insel Der Tausend Quellen

Titel: Die Insel Der Tausend Quellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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war dieses Gewand kürzer und praktischer als ihr hübsches Nachmittagskleid. An dem Nachthemd für ihre »Hochzeitsnacht« gedachte sie allerdings nicht zu sparen! Sie war überzeugt, dass Simon sie ganz zu seiner Frau machen würde, sobald es ihm nur ein bisschen besser ging, und sie wollte schön für ihn sein.
    Bedauerlicherweise war Nora bei Dr. Mason ein weiteres Mal erfolglos, doch sie ließ sich nicht entmutigen. Unternehmungslustig strich sie durch die Geschäftsstraßen, duckte sich allerdings nervös unter den blechernen Ladenschildern, die gefährlich im Wind klapperten. Es kam häufig vor, dass sie herunterbrachen, und mitunter rissen sie einen Teil der Hausfassade mit. Nicht selten wurden Passanten dabei erschlagen.
    Plötzlich hörte Nora eine Kutsche hinter sich herannahen. Sie wandte sich erschrocken um und erstarrte. Das war doch … Nora versuchte, in einen Hauseingang zu flüchten, aber der nächste führte in ein Kaffeehaus – Frauen wurden dort nicht eingelassen. Sie zog den Kopf ein und eilte weiter. Vielleicht erkannte Peppers sie ja gar nicht in dem einfachen Kleid, zu dem sie eine Haube trug wie die anderen Frauen im Eastend. Und dann bot sich die Chance, in eine Seitengasse abzubiegen, die nicht breit genug für die Kutsche war. Nora sprang über eine übel riechende Pfütze – an Straßenecken sammelte sich der Unrat, den die Londoner Bürger einfach vor ihre Häuser zu kippen pflegten. Sie zog ihr Taschentuch hervor und hielt es sich vor die Nase. An den Geruch der Stadt war sie gewöhnt, selbst Londons Prachtstraßen stanken nach den Abwässern, die in offenen Kanälen durch die Gassen geleitet wurden, nach nassen Pferden und verwesenden Kadavern. Aber bislang hatten die Wände der Kutsche sie vor dem Schlimmsten geschützt, während sie als Fußgängerin den Abfällen hilflos ausgesetzt war. Dreck spritzte auf, wenn eisenbeschlagene Wagenräder hindurchfuhren – und wer Pech hatte, dem leerte auch mal jemand Schmutzwasser oder gar einen Nachttopf auf den Kopf.
    Diese Gasse war besonders übelkeiterregend, etliche Schlachtereien hatten sich dort angesiedelt. Nora musste aufpassen, nicht in verwesende Tierdärme und -häute zu treten. Aber die Mühe lohnte sich. Sie erreichte nach kurzer Zeit eine der größeren Straßen rund um den Tower und fühlte sich gleich sicherer. Peppers konnte ihr unmöglich gefolgt sein. Fragte sich nur, wie sie jetzt zurück ins Eastend fand … Während Nora sich noch orientierte, hörte sie plötzlich, wie jemand ihren Namen rief.
    »Miss Nora! Nun warten Sie doch! Laufen Sie doch nicht weg, Miss Nora!«
    Peppers, rot im Gesicht vom ungewohnt raschen Lauf und die Strümpfe der sonst so makellosen Kutscheruniform bis zu den Kniehosen dreckbespritzt, trabte aus der Schlachtergasse direkt auf sie zu.
    Nora wandte sich unschlüssig um. »Peppers, ich …«
    »Ich hab Sie gleich erkannt!«, keuchte der Domestik. »Trotz des seltsamen Kleides. Herrgott, Miss Nora, was haben wir uns Sorgen um Sie gemacht!«
    Nora zuckte die Schultern. »Ganz zu Unrecht, Peppers, wie Sie sehen. Es geht mir gut!«
    Peppers ließ einen strengen Blick über ihre schmale Gestalt, ihre unbehandschuhten, von der Seifenlauge und dem heißen Wasser geröteten und aufgesprungenen Hände und die schief sitzende Haube über dem nachlässig im Nacken zusammengebundenen Haar schweifen.
    »Das sehe ich.« Er presste die Worte ungehalten zwischen seinen zusammengekniffenen Lippen hervor.
    Nora beschloss, ihre arrogante Haltung aufzugeben. »Bitte verraten Sie mich nicht, Peppers!«, sagte sie leise. »Ich habe Simon gefunden, also Mr. Greenborough … und er ist sehr krank … Jemand muss sich um ihn kümmern.«
    Der Kutscher runzelte die Stirn. »Und das wollen Sie sein, Miss?«, fragte er ungläubig.
    Nora sah ihm seine Skepsis am Gesicht an. Peppers liebte seine junge Herrin. Aber über Reiten und Tanzen, das Spiel des Spinetts und die Konversation mit anderen verwöhnten Damen hinaus traute er ihr nicht viel zu.
    Nora nickte. »Ja, ich!«, sagte sie fest. »Und bitte, bitte hindern Sie mich nicht! Er liebt mich und er braucht mich, er stirbt, wenn ich ihn verlasse. Und ich …«, sie biss sich auf die Lippen, »… ich war noch nie so glücklich«, behauptete sie.
    Peppers zog die Schultern hoch. Die Situation schien ihn sichtlich zu überfordern. »Ich bin nicht befugt, Sie zu hindern, Miss«, sagte er dann zögernd. »Aber Ihr Vater … Man versucht, ihn zu benachrichtigen, ich weiß

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