Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel Der Tausend Quellen

Die Insel Der Tausend Quellen

Titel: Die Insel Der Tausend Quellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
Vom Netzwerk:
stieg. Nora nahm es schließlich an. Sie hatte noch mannigfaltige Erledigungen zu machen und mochte Simon nicht zu lange allein lassen. Am Morgen ging es ihm zwar etwas besser – er hatte sogar darauf bestanden, den Kamin selbst erneut anzufeuern, und einen Teekessel hervorgeholt, zu dem es allerdings an Tee fehlte. Nora versuchte, sich bei ihrer Nachbarin vom ersten Stock welchen zu borgen, und erwischte sie gerade noch, bevor sie aus dem Haus ging. Mrs. Tanner arbeitete als Weberin in einer der neuen Fabriken und war eben damit beschäftigt, ihre jüngsten Kinder zu beruhigen. Die zwei weinten ihr hartnäckig nach. Tee besaß sie nicht, sie schien kaum zu wissen, was das war. Als Nora es ihr erklärte, riet sie entsetzt ab, das Wasser aus den Leitungen in der Straße für einen Aufguss zu benutzen.
    »Das kann man nicht trinken, Herzchen, das gibt die Scheißerei!«
    Stattdessen empfahl sie Gin, die verwirrte Nora besann sich schließlich auf Biersuppe. Ihr Vater schwärmte noch heute von diesem traditionellen Frühstücksgetränk, das zu seiner Jugend allgegenwärtig, durch Königin Anna jedoch vom Tee verdrängt worden war. Einen Krug Bier hatte Mrs. Tanner noch im Haus und teilte ihn bereitwillig mit der neuen Nachbarin. Nora versprach, dafür ein bisschen auf ihre jüngsten Kinder zu achten. Sarah und Robert, zwei und drei Jahre alt, blieben tagsüber allein in der Wohnung, und Mrs. Tanner zerriss es jeden Tag das Herz, die jammernden Kinder zu verlassen. Ihre älteren Sprösslinge gingen dagegen selbst schon zur Arbeit: Hannah half in einer Garküche, Ben putzte Kamine. Beide wirkten bereits am Morgen erschöpft, und ihre Mutter musste sie schimpfend drängen, damit sie rechtzeitig aus dem Haus gingen.
    Nora nötigte den widerstrebenden Simon, das erhitzte Dünnbier zu trinken und sich dann wieder hinzulegen, während sie ausging.
    »Ich hole nur was zum Frühstück«, behauptete sie, hastete dann aber mit einem weitaus umfangreicheren Einkaufszettel durch die schmutzigen Straßen.
    Rattengift war leicht zu bekommen. Mit Milch und Butter sah es schon schwieriger aus, zumal Nora die Behältnisse fehlten, um sie abzufüllen. Schließlich kaufte sie einen Krug, zwei Becher und Teller, einen Topf und eine Pfanne und die nötigen Messer und Löffel. Brot und Käse war billig, Butter sehr teuer, was Nora verwunderte, und Tee und Zucker praktisch unerschwinglich. Nora, die an Lebensmittelpreise bisher nie einen Gedanken verschwendet hatte, lernte, dass Öl bezahlbar war, ebenso wie Kartoffeln und Kohl. Kein Wunder, dass Mrs. Paddingtons Eintopf vom Abend zuvor fast ausschließlich daraus bestanden hatte! Fleisch war außerordentlich teuer, aber Mrs. Tanner hatte Nora gebeten, ihr ein paar Knochen mitzubringen, und so kaufte Nora auch für ihren eigenen ersten Kochversuch Rinderknochen, an denen noch ein paar Fleischfetzen hingen. Nora identifizierte sie anhand der Hufe und der Schwanzquaste, die der Schlachter achtlos auf die Straße vor seinem Laden geworfen hatte – Nora konnte sicher sein, weder Katze noch Pferd im Kessel zu haben! Aber bei dem Gestank vor der Schlachterei verging ihr trotzdem schon der Appetit auf ihren Eintopf.
    Zuletzt erstand sie für einen halben Penny Zuckerzeug und machte die jüngsten Tanner-Kinder damit glücklich. Bei ihnen deponierte sie auch erst mal ihre Einkäufe, um sich auf die Suche nach einem Arzt zu machen. Den Gedanken an den Hausarzt ihrer Familie verwarf sie sofort. Dr. Morris lebte in einem noblen Haus in Mayfair, nicht weit von ihrem eigenen entfernt. Er würde kaum zu einem Hausbesuch in die verrufene Gegend kommen, die Nora als ihr neues Heim bezeichnete. Außerdem würde er ihrem Vater umgehend ihren Aufenthaltsort verraten. Und garantiert war er teuer. Schließlich erkundigte sich Nora widerwillig bei Mrs. Paddington.
    »Ein Quacksalber? Wozu? Für den da oben? Das lohnt nicht, kleine Lady, das sieht doch ’n Blinder mit ’nem Krückstock, dass der’s nicht mehr lange macht. Galoppierende Schwindsucht, Lady … kennt man nicht in Ihren Kreisen, was? Nun, sie macht wohl auch vor Lords nicht Halt …« Mrs. Paddington lachte verächtlich.
    »Ich würde die Diagnose doch lieber von einem Mediziner hören«, beschied Nora sie würdevoll. »Vielleicht wissen Sie ja jemanden, der in dieser Gegend praktiziert. Sonst muss ich auf Mrs. Tanner warten.«
    Mrs. Paddington ließ sich daraufhin lang und breit darüber aus, dass die Tanners sich wohl ums Verrecken keinen Arzt

Weitere Kostenlose Bücher