Die Insel Der Tausend Quellen
nahrhaftes Essen …«
»Und Arznei?«, fragte sie eifrig.
Dr. Mason seufzte. »Die ist sehr teuer«, bemerkte er. »Und in diesem Fall …«
Simon suchte erneut seinen Blick.
»Gut …« Dr. Mason resignierte. »Ich schreibe Ihnen einen Trank auf, der Apotheker kann ihn anmischen. Mohnsirup, Viscount, er wird … er wird es Ihnen leichter machen.«
Simon befeuchtete sich die Lippen. »Wie … lange?«, flüsterte er, während Nora fahrig nach Papier und Bleistift suchte.
Der Arzt schaute sich kurz nach ihr um, bevor er antwortete. »Wenn die Entzündung noch einmal abklingt … ein paar Wochen. Wenn nicht … ein paar Tage …«
Nora hatte die letzten Worte gehört. »Nach ein paar Tagen wird es besser«, sagte sie tapfer. »Das habe ich dir immer gesagt, Simon …«
Dr. Mason biss sich auf die Lippen, sagte aber nichts. Er wandte sich erst wieder an Nora, als sie ihn hinausführte.
»Miss … Nora …« Nora hatte ihm ihren Nachnamen nicht verraten. »Um noch einmal auf Ihre Heiratspläne zurückzukommen … Es wäre in Ihrem Sinne besser, wenn Sie das verschieben würden. Überhaupt sollten Sie Ihren Verlobten so wenig wie möglich berühren oder gar … hm … Zärtlichkeiten mit ihm austauschen. In Venetien geht man davon aus, dass diese Krankheit von einem Menschen auf den anderen übertragen werden kann. Man … rät dort sogar dazu, die Kleidung der daran Erkrankten zu verbrennen …«
Nora warf dem Arzt einen ungläubigen Blick zu.
Der Mann seufzte. »Ich weiß, hier in England ist das nicht die Lehrmeinung«, murmelte er. »Aber nach meiner Erfahrung … Es wäre doch keinem geholfen, wenn Sie auch noch krank würden.«
KAPITEL 7
D r. Mason verlangte nur zwei Pence für den Hausbesuch, was Nora fast etwas beschämte. Der Apotheker nahm jedoch einen Shilling und Sixpence für den Mohnsirup. Zusammen mit der Miete verschlang das Noras gesamtes, für ihr Kleid eingehandeltes Geld. Immerhin wirkte das Mittel. Simons Schmerzen ließen etwas nach, und wenn er am Abend einen Löffel voll nahm, schlief er ruhig in Noras Armen. Auch tagsüber verbrachte die junge Frau nun viel Zeit an seinem Bett – an die Warnung des Arztes, ihm so wenig wie möglich nahe zu kommen, verschwendete sie keinen Gedanken.
Nora hatte ihren improvisierten Haushalt jetzt fest im Griff, sie brauchte nur wenig Zeit, um die Mansarde sauber zu halten, den Kamin anzuheizen und zu kochen. Die nötigen Anschaffungen für ein halbwegs geregeltes Leben waren gemacht, und Nora verließ das Haus eigentlich nur noch für kleinere Einkäufe. Um das Geld dafür zusammenzubekommen, versetzte sie ihren Mantel und ihre silberne Haarspange – schließlich auch einen Siegelring mit dem Wappen der Greenboroughs, den Simon bislang noch eifersüchtig gehütet hatte. Jetzt wandte er nichts mehr dagegen ein – und auch Nora machte sich keine Gedanken darüber, was kommen würde, wenn auch die letzten Pennys verbraucht waren. Sie versuchte, an der Hoffnung festzuhalten, aber sie sah natürlich, dass Simon ständig schwächer wurde, und ahnte, dass es nicht gut um ihn stand. Und so verzweifelt optimistisch sie den Besuch des Arztes kommentiert hatte – Schwindsucht war ihr sehr wohl ein Begriff. Sie wusste, dass man an dieser Krankheit starb, und nicht nur hier im Eastend. Wenn Mitglieder der vermögenden Schichten betroffen waren, ging das zwar meist nicht so schnell, aber häufiger als wirkliche Heilung war jahrelanges Siechtum.
Was die Gefahren der Ansteckung anging, so ignorierte sie die Warnungen des Arztes. Was auch immer man im fernen Venetien glaubte, Nora hielt es für völlig unmöglich, dass von ihrem Geliebten irgendeine Gefahr für sie ausgehen konnte. Tatsächlich bekam sie nicht genug davon, Simon zu berühren. Sie schmiegte sich an ihn, wann immer sie Muße dazu fand, und Simon und sie gaben sich stundenlang ihren Träumen hin. Früher war es vor allem Simon gewesen, der mit leuchtenden Augen von der Südsee erzählte. Nora erinnerte sich noch genau an ihr erstes Treffen – sie war damals in Simons Einstellungsgespräch mit ihrem Vater hineingeplatzt. Natürlich hatte sie vor dem Kontor warten müssen, aber sie hatte sich schon vor dem ersten Blick in sein Gesicht in Simons warme, dunkle Stimme verliebt: Ja, ich spreche fließend Französisch und etwas Deutsch und Flämisch. Wenn ich … wenn ich von den familiär bedingten Verbindlichkeiten frei sein werde, die mich bislang in England halten, hoffe ich, einen Posten in einer der
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