Die Insel Der Tausend Quellen
zu ihrem heruntergekommenen Mietshaus auf, und direkt schoss Mrs. Paddington aus ihrer Wohnung wie ein Geier. Sie wirkte an diesem Morgen besonders bösartig und ungepflegt und stank nach Schnaps. Wahrscheinlich hatten die Tanners am Abend zuvor ihre Miete bezahlt, und die Frau hatte sie gleich in Alkohol umgesetzt.
»Hat die Prinzessin denn auch an die Miete gedacht? Und wen bringt sie uns da mit? Gar einen weiteren Galan? Das geht nicht, Mädchen, dies ist ein anständiges Haus. Obwohl Sie damit zweifellos was verdienen könnten …«
Nora errötete, aber Dr. Mason verdrehte nur die Augen. Er schien Leute wie Mrs. Paddington gewöhnt zu sein und hatte Nora nur etwas argwöhnisch angesehen, als die Rede auf die nicht bezahlte Miete kam.
»Ich zahle schon die Miete, Mrs. Paddington. Ich muss nur nachher noch zum Pfandleiher. Und Sie brauchen sich auch nicht zu sorgen, Doktor, Ihr Geld hab ich …«
»Also wenn Sie Geld haben, Lady, dann krieg das erst mal ich!«, beharrte Mrs. Paddington und wollte sich vor Nora und dem Arzt aufbauen. Nora schob sie resolut aus dem Weg.
»Ich gebe Ihnen das Geld später!«, sagte sie fest. »Kommen Sie jetzt, Dr. Mason, meinem Verlobten geht es sehr schlecht.«
Wenn Dr. Mason sich über das sauber gefegte Zimmer, die reinliche Bettwäsche und das Feuer im Kamin wunderte, so ließ er es sich zumindest nicht anmerken. Simon hatte im Halbschlaf gelegen, als Nora heimkam, aber nun versuchte er sich aufzusetzen und den Arzt zu begrüßen. Nora fand, dass er erschöpft, aber wunderschön aussah. Sie hatte sein dunkles Haar am Morgen gelöst und gekämmt, es lag lockig auf dem weißen Kissen und umrahmte Simons fein geschnittenes, aristokratisches Gesicht.
»Es ist schlimmer geworden«, flüsterte Simon, als der Arzt sein Hemd anhob, um ihn zu untersuchen. »Der Husten, und es schmerzt jetzt beim Atmen …« Er zeigte mit einer unsicheren Bewegung auf seine linke Brusthälfte.
»Es wird oft schlimmer, bevor es besser wird!«, behauptete Nora, um Simon Mut zu machen. »Und so was kann auch dauern.«
Dr. Mason gebot ihr mit einer Handbewegung Schweigen. Er hatte Simons Brust entblößt und hörte und klopfte beide Seiten ab. Dann seufzte er und schob Simons Hemd sorglich wieder über seinen Körper, bevor er ihn zudeckte. Simon hustete.
»Tja, Mr. … Viscount Greenborough …«
Es war freundlich von Dr. Mason, den Titel zu benutzen, aber Nora hatte trotzdem Einwände.
»Schon fertig? Müssen Sie nicht … Ich meine, wenn ich erkältet war, dann hat der Arzt immer auch den Rücken abgeklopft, und …«
Dr. Mason rückte seine Perücke zurecht und wandte die Augen gen Himmel, als bete er um Geduld.
»Sicher, Miss … Aber ich weiß auch so schon, was Ihrem Verlobten fehlt. Wenn ich ihn nun bitte, sich umzuwenden, so kostet ihn das nur zusätzlich Kraft, und die hat er ohnehin nicht mehr. Wie ich eben schon sagen wollte, Viscount … Akut leiden Sie an einer Art … hm … Lungenbrand. Das verursacht den Schmerz beim Atmen. Aber ansonsten … Es tut mir leid, aber wir müssen von einem fortgeschrittenen Fall von Phthisis ausgehen …«
Simon blieb still, aber der Arzt meinte, ein leises Kopfnicken zu erkennen. Der Kranke wusste offensichtlich, wie es um ihn stand.
Nora schluckte. »Pht…« Sie kämpfte mit dem Wort, das sie noch nie gehört hatte. »Das ist aber nicht die Schwindsucht …?«
Dr. Mason atmete tief ein und aus. »Es tut mir leid, Miss …«, wiederholte er in ihre Richtung.
Nora meinte, sich nicht mehr aufrecht halten zu können. Sie ließ sich auf Simons Bettkante sinken.
Simon griff nach ihrer Hand. »Nun lass den Doktor doch einfach mal ausreden, Liebste«, sagte er sanft. »Er wird schon wissen, was zu tun ist …«
»Man kann etwas tun?«, fragte Nora hoffnungsvoll.
Simon wechselte einen kurzen Blick mit Dr. Mason. Der räusperte sich und griff erneut fahrig nach seiner Perücke. Anscheinend der Grund für die Zerzaustheit seiner Haartracht.
»Man kann immer etwas tun, Miss … nur dass es manchmal … Ich … Also, das Beste, was Sie für Ihren Verlobten tun können, ist einfach, ihn warm zu halten. Er braucht Ruhe … Geben Sie ihm zu trinken, aber nicht das Wasser aus den Leitungen, das macht es höchstens schlimmer …«
»Milch?«, fragte Nora. Sie lauschte dem Arzt mit großen Augen wie ein Kind, dem man eine Belohnung verspricht, wenn es nur alles richtig macht.
Dr. Mason nickte. »Milch ist gut«, stimmte er zu. »Und Suppe … möglichst
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