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Die Insel Der Tausend Quellen

Die Insel Der Tausend Quellen

Titel: Die Insel Der Tausend Quellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Jamaika
    Winter 1729 bis Frühjahr 1732

KAPITEL 1
    G eben Sie ihr noch ein paar Tage«, sagte Lady MacDougal, als Nora auch eine Woche nach der Beerdigung keine Anstalten machte, wieder normal am Leben teilzunehmen. Nach wie vor verbrachte Thomas Reeds Tochter die Tage allein in ihrem Zimmer. »Es war eine verstörende Erfahrung … sie braucht vielleicht etwas länger.«
    Thomas Reed ließ sich beschwichtigen, aber dann wurde aus »Geben Sie ihr ein paar Wochen!« »… ein paar Monate!« und schließlich »Geben Sie ihr ein Jahr«.
    Nora wollte und wollte nicht aufhören zu trauern. Natürlich löste sich mit der Zeit ihre Starre. Ihr Vater zwang sie zunächst, zu den gemeinsamen Mahlzeiten ins Speisezimmer zu kommen, und schließlich tat sie das auch von sich aus. Sie schwieg nicht mehr beharrlich, sondern antwortete auf seine Fragen, schien ihm auch freundlich zuzuhören, wenn er von seiner Arbeit erzählte. Thomas Reed dankte dem Himmel dafür, dass sie ihm offensichtlich nichts nachtrug. Aber Nora lachte nicht mehr und ließ sich zu keiner Unternehmung überreden. Alle Einladungen, im Herbst an Reitjagden, im Winter an Bällen und im Frühling und Sommer an Picknicks und Landpartien teilzunehmen, schlug sie aus. Dabei waren es ohnehin weniger als sonst, natürlich hatte der Skandal ihrem Ruf geschadet.
    »Und das wird leicht noch schlimmer!«, seufzte Lady Margaret. »Lassen Sie ihr um Himmels willen nicht durchgehen, dass sie sich völlig zurückzieht. Schleppen Sie das Mädchen wenigstens in die Kirche oder mal zu einem Abendessen. Geben Sie von mir aus selbst Gesellschaften, dann kann sie sich nicht drücken! Aber achten Sie darauf, dass man sie sieht! Sonst reimen die Damen sich sonst was zusammen.«
    Lady Margaret machte eine vielsagende Bewegung, die einen sich rundenden Bauch andeutete.
    »Ich denke, sie hat nicht …«, murmelte Thomas.
    Lady Margaret verdrehte die Augen. »Wollen Sie das in die Zeitung setzen lassen?«, erkundigte sie sich. »Und selbst dann könnte es sein, dass gewisse Leute Ihnen nicht glauben.«
    Thomas Reed zwang seine Tochter also so oft wie möglich aus dem Haus, aber Nora fand keine Freude mehr an Konversation, gutem Essen, Musik und Tanz. Sie ließ ihr früher so geliebtes Spinett unberührt – und als Thomas ihr eine wunderschöne arabische Stute schenkte, bewegte sie das Tier zwar pflichtschuldig täglich im St. James’ Park, zeigte dabei aber keinen Anflug ihrer früheren Begeisterung für raschen Galopp und anspruchsvolle Jagdhindernisse.
    Nicht einmal Lady Margarets letzter hilfloser Ratschlag brachte Ergebnisse: Nora verliebte sich keinesfalls in den gutaussehenden jungen Reitknecht, den Thomas Reed ihr in seiner Verzweiflung zugesellte. Sie schien den jungen Mann gar nicht zu sehen. Immerhin vertrieb die Bewegung an der frischen Luft wenigstens die geisterhafte Blässe ihrer Wangen. Der schneeweiße Teint entsprach zwar durchaus dem herrschenden Schönheitsideal, aber eine gesunde junge Frau erlangte ihn doch häufiger mithilfe der Puderquaste als dadurch, die Sonne zu meiden.
    Schließlich jährte sich Simon Greenboroughs Todestag zum zweiten Mal, und Thomas Reed war fast so weit, sich mit der Schwermut seiner Tochter abzufinden. Nora mied alle Zerstreuungen, die sie früher geliebt hatte, und sagte jede der Einladungen ab, die in letzter Zeit wieder zunehmend eintrafen.
    In der ersten Zeit nach dem »Skandal« hatte die Gesellschaft ein wenig Abstand genommen. Schließlich wusste man nicht, ob sich Thomas Reeds Tochter letztlich doch noch als gefallenes Mädchen entpuppen würde. Als dann aber sicher war, dass ihr Fehltritt keine Folgen haben würde, und Lady Margaret und ihre Tochter Eileen auch geschickt Andeutungen bezüglich der zweifellos platonischen Liebe der Kaufmannstochter zu dem Peer fallen ließen, war man bereit, Nora Reed wieder zu akzeptieren. In vielen Familien wurde auch ihre Eignung als Heiratskandidatin für einen der Söhne diskutiert. Die junge Frau war schließlich bildschön und die einzige Erbin. Seit Nora neunzehn geworden war, häuften sich folglich die »zufälligen« Höflichkeitsbesuche von Damen in mittlerem Alter, die anschaulich von ihren Söhnen berichteten. Die Mütter waren dabei durchweg entzückt von Nora, wobei der Skandal um sie gänzlich in Vergessenheit geriet. Wie hätte eine so bescheidene, zurückhaltende junge Frau auch jemals die Kapriolen springen können, von denen man munkelte? Nora Reed war höflich und wohlerzogen

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