Die Insel Der Tausend Quellen
bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen.
»Der ist tot«, bemerkte der Junge und schlug das Kreuzzeichen. »Gott sei seiner Seele gnädig.«
Wie aus weiter Ferne hörte Nora Mrs. Paddington im Hausflur erneut keifen. Sie hielt sich immer noch mit ihren Mietforderungen auf.
»Ich hab sie doch bezahlt!« Nora stieß schluchzend unzusammenhängende Worte hervor. »Die … Miete meine ich … Ich hatte nur dieses Mal keine Zeit, weil Simon … Aber den Doktor, den hab ich noch nicht bezahlt, ich muss …«
Nora erinnerte sich an Simons sanfte Mahnung und weinte noch heftiger.
»Na, das ist ja wohl das Wenigste«, brummte ihr Vater verlegen und drückte ihren zierlichen Körper tröstend an sich. Sie war deutlich dünner geworden. »Nora, ich wusste doch nicht … Ich wusste nicht, dass es so schlimm war … dass er so krank war.«
Nora schüttelte den Kopf. »Keiner wusste das«, flüsterte sie. »Aber ich … er … was mache ich denn jetzt bloß?«
»Du kommst natürlich nach Hause!«, erklärte Reed bestimmt. »Peppers wartet unten, wir werden …«
»Aber Simon …« Nora wandte sich zum Bett.
»Na, für den können Sie sowieso nichts mehr tun«, meinte Bobby, was zweifellos tröstend gemeint war, Nora aber erneut aufschluchzen ließ. »Der …«
»Ich werde mich um alles kümmern«, sagte Reed ruhig. »Aber dich nehme ich erst mal mit, Nora, keine Widerrede. Du musst dich jetzt ausruhen. Was du tun konntest, hast du getan.«
KAPITEL 8
T homas Reed kümmerte sich tatsächlich – wobei Bobby eine unschätzbare Hilfe darstellte. Der Junge lotste den Mann und die schluchzende Nora an der lamentierenden Mrs. Paddington vorbei und übernahm mit dem Geld, das Reed ihm vor der Kutsche rasch abzählte, zunächst die Begleichung der Miete. Dann lief er zu Dr. Mason hinüber, auf dessen sofortige Bezahlung Nora aus ihrem Vater unverständlichen Gründen bestand. Dabei forderte der Arzt gar kein Geld für die letzte Konsultation. Er habe da ja doch nicht mehr helfen können, sagte er. Bobby drängte ihm trotzdem einen Shilling auf und bezahlte ihn obendrein noch für einen Hausbesuch bei den Tanners, deren schnupfende und hustende Kleinkinder sich schreiend an Noras Rock geklammert hatten, als ihr Vater sie hinausführte.
»Vielleicht kann man da ja was machen, bevor sie sich die Schwindsucht holen«, meinte Bobby, aber es klang wenig optimistisch.
Der Junge hätte sich auch um einen Totengräber gekümmert, aber Reed bestand darauf, Simon Greenborough nicht auf dem Armenfriedhof bestatten zu lassen. Er kannte diese flachen Gräber, in die man stets gleich fünf bis sieben Tote legte, wobei man mit dem Zuschaufeln wartete, bis die Grube ganz belegt war. Stattdessen erstand er eine Grabstätte auf dem Friedhof der neu gebauten Kirche St. George in Mayfair, bestellte einen Sarg und sorgte für ein anständiges Begräbnis. Er informierte Simons Mutter und Schwester von dem Ableben ihres Sohnes und Bruders – und beschied sie abschlägig, als sie daraufhin sofort nach dem Verbleiben eines Siegelringes sowie möglicher Ersparnisse des Verstorbenen fragten.
»Was sollte der Junge wohl noch sparen?«, fragte Reed kopfschüttelnd. Er hatte Wilson noch am Tag seiner Ankunft ins Eastend geschickt, um Noras und Simons ärmlichen Haushalt aufzulösen, bevor Mrs. Paddington ihre sämtlichen Habseligkeiten zu Geld machte. Wertsachen fanden sich keine mehr, wohl aber sorgfältig abgeheftete Quittungen über Bankanweisungen an diverse Gläubiger sowie Lady Greenborough und ihre Tochter. Reed war schockiert. »Die Leute haben ihn ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Und ich hielt ihn für einen Geizhals, weil er stets herumlief wie ein Bettelprinz.«
Nora hatte bestimmt, dass die Familie Tanner ihre Haushaltsgegenstände haben sollte, und Wilson leitete das jetzt in die Wege. Mrs. Tanner bedankte sich unter Tränen – versetzte aber gleich darauf alles und erstand davon Gin. Mrs. Paddington forderte Entschädigung für das Bettzeug, das sie Nora »geliehen« habe und das sie nun nicht mehr haben wollte, nachdem Simon darin gestorben war. Wilson überhörte ihre Tiraden gelassen, auch er hatte eine bärbeißige Wirtin.
»Die Alte hat schon genug Geld mit der dreckigen Mansarde verdient«, erklärte er Reed und stieg dadurch in dessen Achtung. Der Kaufmann wusste es zu schätzen, wenn man sein Geld sparte.
Nora konnte die Tränenflut nicht eindämmen. Drei Tage lang hockte sie leise schluchzend in einer Ecke ihres
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