Die Insel Der Tausend Quellen
ihre Zofe wartete bereits, sicher beschäftigt mit der Inspektion all der Puderdosen und Schminkdöschen, auf deren Anschaffung Noras Vater bestanden hatte. Nora sollte aussehen wie jede junge Frau aus ihrer Gesellschaftsschicht. Sie wusste, dass er darauf brannte, sie in absehbarer Zeit zu verheiraten, und konnte den Wunsch nach Enkelkindern sogar nachvollziehen. Aber hier würde sie nicht mit sich reden lassen. Es war undenkbar, irgendeinen dieser jungen Herren zu erhören, die man ihr in nicht enden wollender Reihe vorstellte. Und die alle gleich aussahen in ihren farbenprächtigen, reich geschmückten Jacketts, die den Blick auf eine mit überbordender Spitze geschmückte Hemdbrust freigaben, mit ihren engen Kniehosen und Schnallenschuhen – und den aufwändigen weißen Perücken, unter denen sich sonst eine Haarpracht verbergen mochte. Blondes, schütteres Haar oder gar dunkle Locken wie Simons … Nora würde es nie herausfinden, und es war ihr auch egal.
Ohne jede Begeisterung ließ sie zu, dass ihre Zofe nun auch sie selbst in eine weiß geschminkte Kunstfigur verwandelte. Immerhin war ihr Teint ebenmäßig, ihre Lippen waren voll und ihre Augen so auffallend grün, dass man sie kaum verwechseln würde. Am Ende fand sie, dass sie wie eine Porzellanpuppe wirkte. Zweifellos schön – aber auch ziemlich leblos.
Thomas Reed schien das nicht aufzufallen. Er zeigte sich begeistert über ihren Anblick, als sie die breite Treppe ins Vestibül des Hauses herunterkam, und auch Lady Margaret und ihr Gatte, die ihr Vater eben begrüßte, fanden anerkennende Worte.
»Ein so schönes Kleid, Nora! Richtig erwachsen sehen Sie aus!«, meinte die Lady freundlich. »Ich hoffe so sehr, Sie bald auch mal wieder tanzen zu sehen. Wir geben einen Ball im nächsten Monat. Zur Taufe von Eileens Baby. Sie hat jetzt einen Sohn …«
Nora entging der schmerzliche Ausdruck in den Augen ihres Vaters nicht, als er Lord und Lady MacDougal nun zum wiederholten Mal zur Geburt des ersten Enkels beglückwünschte. Sie rang sich auch ihrerseits ein paar Worte ab, aber dann wurden alle durch ein Klopfen an der Tür abgelenkt. Das Hausmädchen nahm den nächsten Gast in Empfang. Nora sah durch die bunten Glasscheiben, die den Eingangsbereich vom Vestibül trennten, wie es einem hochgewachsenen Mann den Mantel abnahm.
»Nein, nein, die Blumen nicht, Mädchen, die überreich ich selbst …«
Die Stimme war laut und befehlsgewohnt. Der Mann wartete auch nicht ab, bis das Mädchen ihm vorausging. Er trat selbstbewusst durch die Glastüren – und Nora wurde blass unter ihrer Schminke, als sie die Blumen in seiner Hand sah.
Es war verrückt, aber seit Simon damals um ihre Hand angehalten hatte, war ihr niemand mehr mit einem Blumenstrauß entgegengetreten. Es war üblich, dass die Hausmädchen Gastgeschenke schon im Eingang in Empfang nahmen und dann arrangierten, bevor sie demonstrativ den Raum damit schmückten, in dem Nora und ihr Vater die Gäste unterhielten. Dieser Mann hielt den Strauß allerdings vor sich, während er die Blicke kurz über die Frauen im Saal schweifen ließ, wobei er rasch zu dem Schluss kam, wer die Gastgeberin war. Er verbeugte sich vor Nora und hielt ihr die Blumen entgegen.
»Miss Reed? Ich bedanke mich für die Einladung!«
Thomas Reed lächelte dem Besucher zu. »Nora, Lady Margaret, Lord MacDougal, ich darf Mr. Elias Fortnam vorstellen?«
Nora war zum ersten Mal dankbar für die dicke Puderschicht, die ihr Erblassen und anschließendes Erröten gnädig verbarg. Sie schaffte es jetzt auch, sich höflich zu bedanken und den Mann näher anzusehen, der eben Lady Margaret und Lord MacDougal begrüßte. Erleichtert stellte sie fest, dass sie ihr Gefühl des Déjà-vu getrogen hatte. Elias Fortnam hatte nichts, aber auch wirklich gar nichts mit Simon Greenborough gemeinsam. Vielleicht abgesehen davon, dass auch er keine Perücke trug. Sein Haar war zwar üppig grau gepudert, sodass man die Farbe nicht erkannte, aber die wallende Mähne war zweifellos echt. Außerdem hatte Fortnam auf das Pudern seines Gesichts verzichtet, vielleicht, weil es unmöglich war, dessen Sonnenbräune völlig zu überschminken. Ein ungewöhnlich dunkler Teint für Dezember in London … Und auch sonst fiel Elias Fortnam auf. Statt der üblichen Kniehosen trug er Pantalons, lange, dunkle Beinkleider, dazu Rock und kurze Weste aus Wollstoff in gedeckten Farben. Reitstiefel ersetzten die Schnallenschuhe. Nora wusste, dass dieser Stil sich Mode
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