Die Insel Der Tausend Quellen
den ersten Tagen beschäftigte Nora sich dann damit, Elias’ neu erworbene Gemälde und Skulpturen gefällig im Haus verteilen zu lassen, aber das war rasch getan. Nora suchte verzweifelt nach einer Beschäftigung, musste aber sehr bald einsehen, dass dies hoffnungslos war. Wenn es nicht gerade Feste und Gesellschaften vorzubereiten galt – und mit dieser Aufgabe konfrontierte Elias seine junge Frau vorerst nicht –, hatte Nora kaum etwas anderes zu tun, als weitgehend sinnlose Handarbeiten anzufertigen, zu lesen oder Briefe zu schreiben. Zum Glück fand sich im Haus eine Bibliothek – und ein paar der Bücher schien Elias wirklich gelesen oder zumindest selbst angeschafft zu haben. Interessiert schmökerte Nora in den Büchern des Sir Hans Sloane zur Flora und Fauna Jamaikas und nahm sie schließlich mit auf die Terrasse. Das mit Schnitzereien verzierte Gartenhäuschen über der Küche lud zum Verweilen ein, und Nora verbrachte dort bald viele Stunden des Tages – nicht nur mit Lesen und Schreiben, sondern auch damit, das Personal in den Wirtschaftsräumen unterhalb ihres Lieblingsplatzes zu belauschen. Damit verfolgte sie keine bösen Absichten, es gefiel ihr einfach nur, zumindest am Rande am Leben auf der Plantage teilzuhaben. Sie hörte auf die Lieder der Küchenmädchen, die beim Gemüseputzen und Ausnehmen der Fische sangen, lächelte über Adweas strenges Regiment in ihrer Küche und ihren gespielten ärger, wenn Hausdiener und Mädchen sich Scherzworte zuriefen und wohl auch mal einen Kuss tauschten, statt Besen und Kochlöffel zu schwingen. Zu Noras Überraschung unterhielten sich auch die Schwarzen unter sich in dem seltsam gebrochenen Englisch, das ihr gleich am Anfang bei Máanu und Adwea aufgefallen war. Ob es ihnen verboten war, sich in ihrer eigenen Sprache zu unterhalten?
Máanu zuckte mal wieder die Schultern, als Nora sie danach fragte. Eine sehr charakteristische Angewohnheit, die Nora auch bei anderen Sklaven bereits aufgefallen war. Die Dienerschaft schien sich um die Tugenden der drei Affen zu bemühen: nichts hören, nichts sehen und um Himmels willen nicht zugeben, dass man irgendetwas wusste!
»Weiß nicht, Missis«, behauptete Máanu jetzt. »Weiß nicht, ob verboten. Aber weiß ich, dass nicht verstehn sich.«
»Die … Leute aus Afrika«, nach wie vor widerstrebte es Nora, von Sklaven zu reden, »verstehen ihre eigene Sprache nicht mehr?«, wunderte sie sich.
»Doch, Missis, eigene ja, aber nicht andere. Afrika viele Sprachen … viele Stämme.«
Nora nickte, jetzt verstand sie. Anscheinend waren die Schwarzen auf den Plantagen ein zusammengewürfelter Haufen von Menschen aus verschiedenen Gegenden des Kontinents. Natürlich, Afrika war groß! Bisher hatte sie nie darüber nachgedacht, aber natürlich mochte es auch dort Nationen geben wie Engländer, Spanier, Franzosen und Niederländer, die unterschiedliche Sprachen und auch sonst nicht viel gemeinsam hatten. Das erklärte, warum es so selten zu Aufständen kam. Für die Weißen waren alle Schwarzen gleich, aber für die Sklaven selbst bestanden Unterschiede, und vielleicht war der Mann, neben dem man angekettet schuftete, ja im eigenen Land ein Feind gewesen.
Bei Nora verstärkte diese Erkenntnis das unwohle Gefühl, das sie hegte, wann immer man ihr die Sklavenhaltung als gottgegeben und die Schwarzen als halbe Tiere schilderte. So viel anders als Europa mochte Afrika gar nicht sein: verschiedene Sprachen, verfeindete Nationen. All das sprach zwar nicht für die Klugheit und Friedfertigkeit der Völkerstämme, aber auch nicht für ihre Einstufung als niedere Wesen.
Nora dachte oft darüber nach, wenn sie tatenlos in ihrer Laube saß und träumte – bis sie dort einmal etwas erlauschte, das sie alarmierte. Es war gegen Abend, das Essen sollte bald aufgetragen werden, und die größte Geschäftigkeit in der Küche war vorbei. Ein Teil der dort beschäftigten Mädchen war wohl heim in die Hütten gegangen, andere deckten den Tisch und trugen die Speisen auf. Nora, die wie so oft, seit sie auf der Insel weilte, wehmütig dem Zirpen der Grillen gelauscht und der untergegangenen Sonne nachgeträumt hatte, erhob sich seufzend. Sie würde gehen müssen, um nicht zu spät an der Tafel zu erscheinen. Elias legte Wert auf die gemeinsame Abendmahlzeit und den dafür festlich gedeckten Tisch. In den ersten Tagen hatte er Nora gelegentlich gerüffelt, wenn die Gläser nicht perfekt poliert waren oder irgendein Besteckteil an der
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