Die Insel Der Tausend Quellen
primitiv gezimmerten Tisch und drei Stühle. Eine Kochstelle befand sich davor. Nora, die sich an Elias’ Bemerkungen zu Hurrikans und Sturmfluten erinnerte, warf kurz einen Blick auf die Bauweise: hölzerne Eckpfeiler, festes, wenn auch primitives Mauerwerk bis auf etwa Hüfthöhe und darüber Lehmwände. Die Verstrebungen zwischen den Pfeilern waren mit Lehm gefüllt worden, der dann in der Sonne getrocknet war. Das Dach bildeten Palmwedel, den Boden eine festgetretene und sauber gefegte Mischung aus Kalk, Steinen und Lehm. Insgesamt glich diese Unterkunft wesentlich mehr der Hütte an Noras und Simons Traumstrand als Elias Fortnams Haus. Wirbelstürmen würde sie wohl kaum standhalten.
»Nach Hurrikan wir bauen wieder auf«, meinte Mansah gelassen, als Nora sie darauf ansprach.
Es schien ihr wenig auszumachen. Und tatsächlich enthielt das Quartier ja auch keinerlei persönliche Gegenstände außer ein paar einfach geschneiderten, bunt bedruckten Kleidern und Schals, die sich die Frauen zu einer Art Turban um den Kopf wanden. Auf einem Regal lagen die Bänder, die Nora Máanu am Nachmittag geschenkt hatte, hübsch zu einer Schleife zusammengefasst, das Mädchen schien also wirklich Freude daran zu haben. Aber mehr besaßen die Frau und ihre beiden Töchter, die hier eine Hütte teilten, nicht.
»Hast du keinen Vater?«, erkundigte Nora sich bei Mansah.
Das Mädchen schürzte die Lippen. »Doch, Missis, aber gehört Lord Hollister. War Kutscher, jetzt ist Feldnigger. Nicht oft sehn.«
Nach dem, was Nora jetzt schon über die Gesellschaft wusste, musste Mansahs und Máanus Vater degradiert worden sein; womöglich hatte es seinem Herrn nicht gepasst, dass er sich auf der Nachbarplantage eine Frau gesucht hatte. Sie mochte das Mädchen jedoch nicht fragen. Vielleicht bot sich später ja mal die Gelegenheit, Elias oder die Hollisters auszuhorchen.
Als Nora jetzt zurück in ihre Räume kam, war Máanu bereits fertig damit, ihre Garderobe in die Schränke einzusortieren. Die Kleidung der früheren Mrs. Fortnam hatte sie herausgenommen und in die Truhen gelegt.
»Eigentlich schade um die Sachen«, meinte Nora bedauernd. »Möchtest du vielleicht etwas davon? Es dürfte dir etwas zu weit sein …«, auch Nora selbst war zierlicher als ihre Vorgängerin, »… aber die Länge müsste hinkommen. Du könntest dir etwas ändern. Und auch für deine Schwester.«
In England war Nellie immer glücklich gewesen, wenn Nora ihr ein abgelegtes Kleid schenkte. Aber Máanu schüttelte den Kopf.
»Nicht für Nigger«, sagte sie knapp.
Nora seufzte. »Aber es würde dir gut stehen«, versuchte sie es noch einmal und suchte dann in dem Kleiderstapel, bis sie ein paar einfache Röcke und Hemden fand. Elias’ Frau hatte sie sicher unter den üblichen Mantelkleidern getragen. »Dies hier! Das wäre ein Sonntagskleid für dich. Nimm es nur, Máanu, ich sage dem Backra, ich hätte es dir geschenkt.«
Máanu verzog sich schließlich mit hölzernem Dank. Wobei Nora sich siedendheiß fragte, ob es für die Sklaven überhaupt einen Sonntag gab. Sie hätte sich inzwischen nicht mehr gewundert, wenn man ihnen keinerlei freie Tage gewährte.
Elias schüttelte den Kopf, als sie ihn später danach fragte.
»Sei nicht albern, Nora, natürlich haben sie freie Tage. Weihnachten. Und Ostern einen halben Tag. An jedem zweiten Sonntag hält der Reverend einen Gottesdienst, da können sie sich auch ausruhen. Und bei Dunkelheit ist ohnehin Schluss auf den Feldern, da überarbeiten sich die Kerle schon nicht.«
Nora war entsetzt über diese Regelungen. Ein einziger freier Tag im Jahr? Und für die Feldarbeiter Fron von Sonnenauf-bis Sonnenuntergang? Nun ging die Sonne zurzeit noch verhältnismäßig früh unter. Aber im Hochsommer?
»Ich könnte dir übrigens morgen die Plantage zeigen«, bemerkte Elias. »Wenn dein Pferd sich ausreichend erholt hat nach der Reise.«
Er grinste, und Nora atmete auf. Aurora und die anderen Pferde waren also offensichtlich wohlbehalten angekommen. Sie nickte begeistert. Wie Zuckerrohrfelder aussahen, wusste sie zwar inzwischen, aber vielleicht beinhaltete die Führung ja auch den Weg zum Strand.
Am nächsten Tag wies Elias Nora erst mal den Weg in die Ställe. Sie lagen auf der anderen Seite des Hauses, ähnlich angelegt wie die Küche, und sie waren luftig und kühl. Noras elegante Stute war standesgemäß untergebracht und trat ihr auch blitzblank geputzt und gesattelt entgegen. Der schwarze Stallbursche
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