Die Insel Der Tausend Quellen
verärgerte. Lediglich wenn sie mit Nora allein war, sprach sie flüssig, und sie bemühte sich auch, zur Zufriedenheit ihrer Herrin, Fragen zu beantworten.
Nora hielt sich hier allerdings zurück. Auch sie gedachte vorerst nicht, das neu gewonnene, etwas vertrautere Verhältnis zu Máanu zu belasten. So sprach sie das Thema Akwasi in den nächsten Tagen nicht an, obwohl ihr Fragen dazu auf den Nägeln brannten. Máanu war dem jungen Feldarbeiter unzweifelhaft zugetan, das hatte schon ihre Sorge um ihn gezeigt. Aber was geschah nun, wenn er diese Zuneigung erwiderte? Gab es Eheschließungen unter den Sklaven? Und wenn ja, wie ging das vor sich? Wenn sich Sklaven nach christlichem Ritus trauen ließen, müsste sie das eigentlich davor schützen, später einzeln verkauft zu werden. Das Bibelwort »Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht trennen« band schließlich auch die Pflanzer.
Und nach Toby und Hardy erkundigte Nora sich ebenfalls nicht weiter, wenngleich sie sich um die Sklaven sorgte. Máanus und Akwasis Gespräch zufolge mussten die Männer krank sein. Wer aber kümmerte sich in diesem Fall um die Arbeiter? Elias’ Antwort auf diese Frage war ein knappes Schulterzucken.
»Ach, die Kerle sind zäh«, bemerkte er nur, um auf Noras beharrliches Nachhaken ein »Das machen die unter sich aus« nachzuschieben.
Zu Noras Beruhigung trug das nicht bei. Sie würde sich letztlich an die weiterhin misstrauische Máanu halten müssen, wenn sie mehr erfahren wollte.
Aber dann, drei Tage nachdem sie Máanu und Akwasi vor der Küche belauscht hatte, geschah etwas, was Noras bislang recht zufriedenes Leben auf der Plantage von Grund auf erschütterte.
Dabei hatte der Tag eigentlich ruhig angefangen. Nora hatte ihn mit einem langen Spaziergang an den Strand begonnen – es war anstrengend, den ganzen Weg durch den Wald zu laufen, zumal sie kein festes Schuhwerk besaß, sondern nur leichte, zu ihren Kleidern passende Seidenschühchen. Aber manchmal wurde ihr Drang, das Meer zu sehen und in die Welt ihrer Träume mit Simon einzutauchen, schlichtweg übermächtig. Ihre Begegnung mit Sand und Meer war dann bittersüß. Sie genoss es, Schuhe und Strümpfe auszuziehen und ins Wasser zu waten, und schließlich entledigte sie sich auch ihres Kleides und lag im warmen Sand wie damals in Simons Armen.
Natürlich war das ein Wagnis, sie durfte gar nicht daran denken, wie Elias reagieren würde, wenn er sie halb nackt in der Sonne fände. Aber nach all ihren Erfahrungen kam zumindest während der Arbeitszeit nie jemand von Cascarilla Gardens zum Strand, und die Wahrscheinlichkeit, dort auf vagabundierende Maroons oder gar Piraten zu stoßen, hielt sie auch nicht für allzu groß. Nora achtete natürlich darauf, an nicht allzu exponierter Stelle zu lagern, sondern im Schatten der Palmen oder Akazien, gern versteckt zwischen den Pflanzen. Hier hätte auch Simons und ihre Hütte gestanden … Nora verlor sich in der Welt ihrer Fantasien, aber am Ende machte es sie weniger glücklich als traurig. Fast immer weinte sie, bevor sie den Strand wieder verließ.
Nun, am späten Vormittag, war sie müde und plante einen langen Mittagsschlaf nach einem nur leichten Lunch. Elias war am Morgen nach Kingston geritten, um eine Warenlieferung zu überwachen, also würde sie allein essen. Bis dahin vertrieb sie sich die Zeit mit einem Buch an ihrem Lieblingsplatz im Garten und lauschte dem unmelodischen Geschrei der tropischen Vögel in den Bäumen.
Dann aber hörte sie Máanu rufen.
»Missis! Bitte, Missis, wo sind Sie?«
Das Mädchen rannte über die Terrasse auf Nora zu. In seiner Stimme lag verzweifelte Dringlichkeit, aber dann, als es Nora im Gartenhäuschen erkannte, wirkte es erleichtert. Zu Noras Erschrecken warf sich die sonst so reservierte Sklavin vor ihr zu Boden, als wollte sie um ihr Leben flehen.
»Bitte, Missis, kommen Sie, helfen Sie, tun Sie irgendetwas! Er bringt ihn um, er schlägt ihn zu Tode. Siebzig Hiebe … siebzig Hiebe, das überlebt niemand … McAllister verhängt immer nur zwanzig, und das ist schon schlimm, aber …«
Nora machte Anstalten, dem Mädchen aufzuhelfen.
»Nun beruhige dich doch erst mal, Máanu, und erzähl mir, was passiert ist. Ich weiß ja gar nicht …«
»Sie haben schon angefangen, Missis, wenn Sie nicht gleich mitkommen, wenn Sie nicht eingreifen, dann … dann ist es zu spät!« Máanu schluchzte verzweifelt, sie versuchte, Noras Knöchel zu umfassen.
Peinlich berührt
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