Die Insel der Verlorenen - Roman
sindausEngland.DieseundähnlicheDingewarendasEinzige,wasihmderPräsidenterzählthatte,erhattenichtsanderesimKopfalsdieNeugestaltungseinerSommerresidenz.
Ein paar Straßenblocks weiter war Arnaud so weit, dass er auch seine Antworten wieder parat hatte: einsilbiges Erstaunen, geheuchelte Ausrufe der Bewunderung. Und er hatte wieder seine Stimme im Ohr, als er gesagt hatte: Das ist mein gänzlicher Geschmack, Exzellenz. Den Satz wiederholte er vor mehreren Objekten und Möbeln, die ihm der Präsident präsentierte. ›Mein gänzlicher Geschmack‹, hatte er mit einem erzwungenen Unterton gesagt und wurde bei der Erinnerung daran ein wenig rot. Was interessierte es schon seine Exzellenz, welches sein gänzlicher Geschmack war. Und wahrscheinlich war der Satz noch nicht einmal korrekt.
In der Nacht davor hatte er sich auf das Gespräch vorbereitet und wollte eigentlich etwas ganz anderes sagen, zum Beispiel so etwas wie: Mein Vater hat mir von klein an von Ihren Heldentaten erzählt, aber in der Stunde der Wahrheit brachte er dann nur noch Ohs! und Ahs! zustande, obendrein im Falsett. Dabei war er extra aufgeblieben, um sich alles über die Clipperton-Insel anzueignen, ihre Chancen im Guano-Export, all die juristischen Facetten des Konflikts mit Frankreich, ihre strategische Bedeutung im Kriegsfall, er hätte Porfirio Díaz stundenlang Vorträge über das Thema halten können, hätte ihn mit seinen fundierten Kenntnissen, seiner Begeisterung für die Insel und seinem festen Entschluss, dorthin zu gehen, in Erstaunen versetzt. Aber Don Porfirio gab ihm keinmal die Chance, das Thema anzuschneiden.
Eigentlich hatte es bei ihrer Begegnung nur einen Hinweis auf die Bedeutung seiner Mission und das in ihn gesetzte Vertrauen gegeben, und das waren die harten Schläge auf die Schulter beim Abschied und die Worte, mit denen der Präsident ihn entlassen hatte: Viel Glück, hombre ! Viel Glück, Mann, hatte er gesagt. Damit hatte seine Exzellenz natürlich gemeint, viel Glück auf Clipperton, überlegte Arnaud, während er geblendet, freudestrahlend und ziellos den Paseo de la Reforma entlanglief. Viel Glück für die geheime Reise nach Japan, viel Glück bei diesem schwierigen Unterfangen, viel Glück bei der Verteidigung unserer nationalen Souveränität. Oder etwa nicht? Na ja, vielleicht wollte er auch nur sagen, viel Glück, Mann.
Das Nichtssagende ihres Gesprächs war für Arnaud nicht von Belang und konnte seine Freude nicht trüben. Es kam doch nicht darauf an, was der Präsident zu ihm sagte, Tatsache war, dass er ihn zu sich bestellt hatte, das Eigentliche war diese Geste, und er hatte ihn persönlich empfangen, ihn, nur ihn und niemand anderen, trotz allem, ihn, Ramón Arnaud. Zwar hatte er in ihrer Unterredung nicht gerade geglänzt, das gestand er sich ein, aber darauf kam es schließlich gar nicht an. Und Porfirio Díaz hatte das ja letztlich auch nicht getan. So ging es Ramón Arnaud selbstzufrieden durch den Sinn.
Marmor aus Carrara, Lampen von Baccarat, Möbel von Henri II oder von der Hure, die ihn zur Welt gebracht hat, die Ähren des Oberleutnants waren an seinen Epauletten befestigt, die Beförderung war unterschrieben, binnen acht Tagen würde er als Gesandter seiner Regierung mit Avalos nach Japan reisen, er hatte eine Privataudienz mit Don Porfirio höchstpersönlich gehabt, von Angesicht zu Angesicht, komme, was da wolle, das konnte ihm niemand mehr nehmen.
Wie durch Zauberhand war er buchstäblich von einem Tag zum anderen von einem armen Teufel, einem Geächteten, einem gescheiterten Offizierchen, einem Herrn Niemand aus der Provinz, einem Deserteur, zum Oberleutnant und Gouverneur aufgestiegen, zu einem Mann, in den die Mächtigen ihr Vertrauen setzten. Ehe er sich’s versah, war er der Liebling der Götter geworden.
Eines Tages wird im Geschichtsbuch unseres Landes eine Seite über mich geschrieben stehen, sagte er plötzlich laut vor sich hin.
Als er an jenem Abend in seinem Zimmer den beengenden Rock seiner Galauniform aufknöpfte und die Muskeln am Bauchansatz lockerte, fügte er hinzu:
Und wenn nichts über mich drinsteht, dann haben sie mir wenigstens das Gehalt erhöht.
Orizaba, Mexiko
– 1908 –
Ein sepiafarbenes Foto, aufgenommen in einem Zimmer mit Samtvorhängen, unten am Rand ein Stempel und in der rechten Ecke der Eintrag des Datums, ›Mai 1908‹ – das heißt, ein paar Tage vor der Hochzeit –, zeigt Alicia, wie sie damals war: im Kinn ein anmutiges Grübchen, das
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