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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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–, zur heiligen Zuflucht in die Unzucht, die Unzucht deiner heiligen Leibesfrucht, Zuzucht, Unfrucht, heilige Leibesbucht.
    Die Mutter, Doña Petra, bekreuzigte sich, wenn sie solche lästerlichen Reden mitbekam. Aber dann gesellte sie sich zu ihnen und plauderte mit, riskierte eine Meinung:
    »Wenn euch, was Gott verhüte, einmal ein Mann vergewaltigen will und ihr eine Pistole zur Hand habt, dann erschießt euch. Nehmt euch lieber das Leben, als euch eure Ehre nehmen zu lassen!«
    Sie lachten:
    »Aber das ist doch völlig verrückt, Mama, wir erschießen doch dann lieber den Mann.«
    ViermaldenFadendurchziehen,danndieNadelindasStäbchenstechen.SiewechseltensichmitderHäkelarbeitab,aberSaritamachtedieMaschenfesteralsAliciaundEsthermachtesielockerer,sodassdieNachtigallenfürdasBrautkleidmalgroßundschnäbelig,malkleinundgerupftgerieten,unddieMutterverlangte,dasssiealleswiederaufribbeltenundvonvornbegannen.EinmalaßensiebeimHandarbeitenPralinenmitKirschlikörundmachtenFleckenaufdieHäkelei.DamusstensiedieSchokoladeheimlichhinterDoñaPetrasRückenmitSalzundBleichmittelwiederauswaschen.
    Drei Stäbchen und drei Luftmaschen, während ihr die Mutter die Hausmittel einprägte:
    »Gegen Magenverstimmung machst du Folgendes: Wenn du auf Clipperton bist und dir das Kampfermittel ausgeht, dann ersetzt du es durch eine Auskochung von Avocadokernen, die du fünfzehn Minuten auf dem Feuer lässt.«
    Und sie lachten:
    »Wahrscheinlich werden ihr die Avocados als Erste ausgehen!«
    Eine Luftmasche, fünf feste Maschen, noch eine Luftmasche, so rückte das vereinbarte Hochzeitsdatum näher. Eines Tages kam ein Bote nach Orizaba mit einer langen Kette aus grauen Perlen, die Ramón seiner Braut aus Japan schickte. Die ganze Nachbarschaft erfuhr davon und lief herbei, um das Schmuckstück in Augenschein zu nehmen. Alicia legte sie entzückt um den Hals und lief hinaus in den Patio, um mit den Kindern der Dienstboten Luftsprünge zu machen und Purzelbäume zu schlagen.
    So verlief Alicias Leben. Sie häkelte an ihrem weißen Hochzeitskleid und lernte auf dem großen Kohleherd den Reis so zu kochen, dass er weder klebte noch versalzen war. Wenn sie sich unbeobachtet fühlte, schloss sie sich ein, um immer wieder die Briefe ihres Verlobten zu lesen und sie mit kurzen Notizen auf Briefkarten zu beantworten; dabei gab sie sich redlich Mühe, die bauchigen Kleinbuchstaben und die schnörkeligen Großbuchstaben möglichst formvollendet nebeneinander zu setzen.
    Bevor sie ihm schrieb, ging sie ihre Aufzeichnungen von den wichtigsten Ereignissen in Orizaba während seiner Abwesenheit durch. Eine schwangere Indianerin war auf dem Weg zum Markt, wo sie Tortillas und geröstete Maisfladen verkaufen wollte, von einer Kuh angefallen worden, die ihr ein Horn in den Bauch stieß. Die Frau hatte geschrien und geblutet, war aber noch am Leben, und Alicia hatte geholfen, sie in die Frauenklinik zu bringen; sie konnten beide gerettet werden, die Frau und das Baby. An einem anderen Tag war der Wüstling aus dem Viertel Santa Anita geschnappt und gehängt worden, nachdem der Kerl fünfzehn Mädchen vergewaltigt, mit der französischen Krankheit infiziert und samt und sonders geschwängert hatte.
    Aber am Ende verwarf Alicia diese Geschichten, weil sie Ramón ohnehin nicht interessieren würden, und beschränkte sich darauf, ihm ihre Liebe zu erklären, wie auf jener Postkarte in englischer Sprache, die etliche Jahre nach der Tragödie in General Francisco L. Urquizos Buch über Clipperton als Reproduktion veröffentlicht wurde und den folgenden Wortlaut hat. Auf einer Seite steht,
    Señor
    Ramón Arnaud
    Acapulco
    und auf der anderen,
    I never forget you
    and I love you with
    all my soul, Alice
    Orizaba, 14. Juni 1908
    Ein Strich in violetter Tinte löst sich vom »e« bei »Alice«, schlägt einen Bogen und schlingt sich um das Endungs-»a« von »Orizaba«. Darunter drei Punkte, ein Leerzeichen und sechs feste Maschen, die Reihe mit einer Kettmasche beenden und den Faden abschneiden.

Mexiko-Stadt
    – heute –
    »Nein, nein, das stimmt nicht, sie hat sich ihr Brautkleid nicht selber gehäkelt«, erklärt mir Alicias Enkelin, Señora María Teresa Arnaud de Guzmán, und zitiert aus ihrem Buch mit der Familiengeschichte La tragedia de Clipperton , das sie 1982 in Mexiko-City veröffentlichte: Alicias Hochzeitskleid ist aus Europa eingetroffen, es war sehr elegant; mehrere Wochen lang wurde es im Schaufenster von Las Fábricas de Francia

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