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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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Südfelsen angelangt war. Die Leute hielten die Augen auf den Boden geheftet. Sie sahen sich nicht an: Es war zu erschreckend, das eigene Verderben in den anderen gespiegelt zu sehen. Es gab keine Zeremonie, weder eine militärische noch eine religiöse, weil ihnen die Kraft dazu fehlte. Die der Kranken erschöpfte sich im Stehen und die der Gesunden im Aushöhlen des steinernen Untergrunds, während ihnen der Regen auf den Rücken prasselte.
    Die Toten schluckte das Loch und die Lebenden verloren sich im Unwetter. Bis auf eine kleine Männergruppe, die am Grab bei Feldwebel Irra stehen blieb, der gerade seine ganze Familie beerdigt hatte. Ohne ein Wort waren sie sich plötzlich einig. Langsam gingen sie zum Haus des Leuchtturmwärters, in dem einhelligen Entschluss und einem gemeinsamen Wunsch. Sie fanden Victoriano Álvarez noch lebend in seiner Hängematte liegen und schlugen so lange auf ihn ein, bis sie ihn tot wähnten. »Gerechtigkeit muss sein«, schrieben sie anschließend in die Erde seines Höhlenbodens.
    Seit ihr Mann gestorben war, hatte sich die Hebamme Doña Juana, die Frau von Jesús Neri, in eine menschenscheue, alte Eigenbrötlerin verwandelt, und war eine wunderliche, vorsintflutliche Vagabundin geworden. Sie hatte keinen Platz zum Wohnen und niemand wusste mehr, ob ihr Haus von alleine zusammengebrochen war, ob der Orkan es weggeblasen oder ob die Fluten es fortgespült hatten. Jedenfalls zog sie mit ihrem Bündel auf dem Buckel von hier nach da. Krumm war sie und vom Leben unter freiem Himmel schrumpelig und dunkel geworden wie eine Rosine. Bei Tag sprach sie mit sich selbst, und bei Nacht sang sie sich selbst in den Schlaf, als wäre sie ihr eigenes Kind. Die anderen beachteten sie nicht weiter, nur wenn sie ihr begegneten, sagten sie noch: »Tag, Doña Juana«, oder »Guten Tag, Doña Juana.«
    »Was heißt hier guten Tag«, murrte sie dann vor sich hin, ohne dass ihr jemand zuhörte. »Es gibt nur noch schlechte Tage.«
    Als dann der Skorbut im Begriff war, die ganze Siedlung auszurotten, fiel ihnen die Alte wieder ein.
    »Die Hebamme kann uns gesund machen!«
    Sie gingen sie am Ufer der Lagune suchen, wo sie hinter einem Hügel voller Müll und Treibgut hauste. Und als sie nach ihr riefen, kam sie mit Lumpen bekleidet zum Vorschein. Dann kletterte sie auf einen kleinen Steinhaufen und sprach vom Teufel. Clipperton lebe in Sünde, wie einst Sodom und Gomorrha, sagte sie, diese Seuche sei Gottes Strafe. Männer und Frauen lebten ohne den Segen des Herrn zusammen, und die Kinder wuchsen ungetauft auf. Sie würde ihnen Heilung bringen, versprach sie, wenn sie den ersten Schritt taten und ein reines Gewissen vorweisen konnten. Sie musste keine große Überzeugungsarbeit leisten und erbot sich, die Leute in Hochzeitszeremonien selbst zu verheiraten, um den von der Krankheit gezeichneten Liebespaaren pathetisch ihren Segen zu spenden. Sie zelebrierte Sammeltaufen, bei denen die Anwärter knietief in die Lagune waten mussten, damit sie ihnen die Köpfe mit dem brackigen Wasser begießen konnte. Ihr Priesterinnengewand war beeindruckend. Die Fetzen, die ihr am Leib hingen, ergänzte sie mit Tierhäuten und setzte sich einen ausgedienten Lampenschirm aus Seide mit Troddeln rundherum auf den Kopf. Ihr Zepter bestand aus einem langen Stecken, gekrönt von dem Porzellankopf einer Puppe.
    Da sich ihre Anhänger trotz Umkehr, Sakramenten und Gebeten unter Schmerzen wanden, reicherte die Hebamme ihre Mystik mit Medizin an. Sie bereitete Tränke aus Truthahnfedern, Igelpanzern, Fledermausurin und Krötenmilch, und brachte Blutegel, Schröpfköpfe und Breiumschläge aus Guano zur Anwendung. Fortan gingen die Kranken nicht mehr zur Apotheke, um ihre tägliche Kokosration in Empfang zu nehmen. Sie ließen sich ein für alle Mal am Rand der Lagune und im Umkreis der Hebammenbehausung nieder, wo sie ihre Tage und Nächte mit Wehklagen und Todesqualen, Gebeten und Prozessionen verbrachten.
    Die Zahl der Toten stieg, und da die Lebenden ungeduldig wurden, weil sich das Wunder der Genesung nicht einstellen wollte, erneuerte die Hebamme ihr Heilversprechen. Sie sagte zu ihnen, die Luft wäre vergiftet und gab ihnen den Auftrag, Feuer anzuzünden, und sie mit dem letzten Hab und Gut der Toten in Gang zu halten, damit sie gereinigt würde. In den läuternden Flammen verbrannten Skapuliere, Haarkämme, Unterröcke, Hemden, Liebesbriefe und Spielzeug, die letzten Erinnerungsstücke der Familien und die wenigen

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