Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
Vom Netzwerk:
sich auf die Arbeit!
     
    Auch bei der Decke musste er den Bauplan ändern.
     
    Die Decke über der Wärterstube ist nicht zu wölben, sondern aus gusseisernen Balken mit Deckplatten und einem Ziegelpflaster oder aber einem Überzug von Portland-Zement zu konstruieren. Eine kuppelartige Überwölbung verliert wegen der darin anzubringenden Treppenöffnung zu sehr das statische Gleichgewicht.
     
    Andreas Hartmann hielt inne. Er sah zum Stiefel, ermahnte sich zur Konzentration. Hatte er an alles gedacht? Die Gesimse. Er wollte sie vom ursprünglichen Plan abweichend mit Granit abdecken. Auch die Wasserschläge sollten mit Granit gebaut werden. Er musste den Arbeitern auf die Finger sehen, damit sie die Fugen sorgfältig verkitteten. Es durfte kein Wasser in das Mauerwerk eindringen. Das Feuchtigkeitsproblem stellte sich auch beim Unterbau der Laterne.
     
    Die Trommel der Laterne wird mit Klinkerziegeln eineinhalb Stein aufgeführt werden können, aber die Ziegel müssen in Zement vermauert und auswendig einen Putz aus Portland-Zement erhalten, um das Eindringen der Feuchtigkeit zu verhindern.
     
    Der Umgang um den Leuchtapparat im Innern wird wie geplant durch eine eiserne Konsole gebaut, die in das Mauerwerk des Unterbaus eingreift …
     
    Fehlt es nicht an Baumaterialien, werde ich den Turm und das Wärterhaus im Zeitplan vollenden können. Die Arbeiter sind bereits informiert, auch sonntags zu arbeiten, um die durch das Warten verlorene Zeit aufzuholen.
     
    Wenn alles gut ging, könnte er wieder zu Hause sein, bevor die Herbststürme einsetzten. Etwas bedrückte ihn bei diesem Gedanken. Fuhr er wirklich gern heim? Überkam ihn nicht schon nach wenigen Stunden dieses Gefühl der Enge, der Unsicherheit, das er auf den Baustellen nie empfand? Zu Hause bemühte er sich stets, alles richtig zu machen, aber er wusste nie, was richtig war. Überall spürte er Almuts Augen.
    Er sah Almut durch das Haus wandeln, ruhig, mit ihrem beseelten Lächeln auf den Lippen. Manchmal beneidete er sie. Ihr schien nichts zu fehlen. Sie hatte ihren Glauben, ihre Regeln, nach denen sie ihr Leben einrichtete.
    Andreas Hartmann sah den Stiefel vor sich. Er spürte den Fußstoß an seinem Schienbein. Warum konnte er nicht ein einziges Mal mit Almut streiten? Sie wurde nie laut. Sie sagte ihm in aller Güte, was sie von ihm wünschte und warum. Das erstickte seinen Drang, aufzubegehren. Sein Widerwille kehrte sich nach innen und drückte ihm auf den Magen. Warum schrie sie ihn niemals an? Warum schrie er nicht? Andreas Hartmann schnupperte. Der faulige Krabbengeruch lag noch in der Luft, obwohl er gelüftet hatte.
    Einmal war es ihm gelungen, laut zu werden. »Ich rauche, wo ich will, und dies ist mein Zimmer«, hatte er geschrien.
    Almuts Lippen bebten. Tränen standen ihr in den Augen. »Ich werde ein Gebet für dich sprechen, Andreas.« Sie drehte sich um und verließ den Raum.
    Diese Beherrschtheit, diese drückende Ruhe, diese betulichen Zärtlichkeiten; am liebsten hätte er sie einmal gepackt, kräftig durchgerüttelt und aufs Bett geworfen. Andreas Hartmann fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Er schämte sich dieses Gedankens. Was geschah mit ihm? Diese Insel stellte alles auf den Kopf. Was wollte er denn? Er führte eine harmonische Ehe. Alles war doch, wie es sein musste. Seine Frau war fürsorglich, seine Kinder gerieten prächtig. Sie wohnten im Haus der Eltern, am Dammtorwall, mit großem Garten und Obstbäumen. Das Haus hatte einen großen Raum, in dem er an seinen Entwürfen arbeiten konnte und noch eine Einliegerwohnung, in der später eins seiner Kinder wohnen könnte. Er führte ein vollkommenes Leben.
    Andreas Hartmann starrte auf sein Baubuch. Manchmal hatte er den Eindruck, dass alles an Almut nach Kirche roch. Ja, so war es, sie stank nach Kirchenmuff. Und er ebenso. Aus jedem Knopfloch dünstete es heraus. Alle Feiertage gingen sie in die Kirche. Sie ließen keinen Sonntag aus. Dazu kamen alle anderen Gelegenheiten. Geburtstage, Todestage, Beerdigungen, Hochzeiten, Taufen … Hatte er es nötig, in die Kirche zu gehen und einen Gott anzubeten, der seine Eltern in die Fluten stürzte, obwohl die Mutter für eine verdammte alte Bibel gestorben wäre? »Gott verzeih mir«, flüsterte er, »ich weiß nicht, was mit mir los ist.«
    Andreas Hartmann versuchte, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er blätterte in seinen Aufzeichnungen. Das Bau-und Ingenieurwesen sagt mir zu, dachte er, Mathematik ist

Weitere Kostenlose Bücher