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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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Die süßen Träume waren verflogen. Die Wellen brachen sich über der Wahrheit.
     
    H
     
    Andreas Hartmann hielt den Stiefel in der Hand, als die Tür aufsprang.
    »Karlsen ist vom Gerüst gefallen«, schrie Martens. Er ließ den Stiefel fallen.
    Die Männer standen um den Verunglückten herum. Er schob sie beiseite. Karlsen lag unter einer Wolldecke.
    »Ist er …?«
    Sie nickten.
    Andreas Hartmann hob die Decke an. Übelkeit und Schwindel überfielen ihn. Er ließ die Decke wieder zurückfallen, versuchte sich zu fassen. »Wie ist es geschehen?«
    »Keiner hat’s gesehen. Auf einmal fiel er in die Tiefe.«
    Der Polier verschränkte seine Arme. »Wir gehen!«
    »Was heißt das, ihr geht?«
    »Wir haben die Nase voll von der Insel. Die Skelette, und jetzt ist Karlsen tot. Hier spukt es!«
    »Das ist doch Unsinn, wir müssen das Gerüst überprüfen. Vielleicht war Ole Karlsen auch betrunken.«
    »Ole hat nie getrunken. Uns hält hier nichts mehr. Von Ihrem Gemecker haben wir auch genug. Wir schuften von morgens bis abends. Jetzt sollen wir auch noch sonntags arbeiten und mit stinkenden Krabbenschalen im Bett schlafen. In einer Stunde geht die Fähre. Dann sind wir hier weg.«
    Der Polier drehte sich um. Seine Männer folgten ihm.
    »Aber … aber das könnt ihr doch nicht … Gut, ich streiche die Sonntagsarbeit … bleibt doch … um Himmels willen! Groth, halt sie auf.«
    Der Bauführer zuckte mit den Schultern. »Ich kann da auch nichts machen.«
    Andreas Hartmann blickte in den Nebel. Herr, welche Prüfung erlegst du mir auf? Ich werde noch inselverrückt und fange an, an Dämonen und Gespenster zu glauben.
    »Groth, sorge dafür, dass Ole Karlsens Familie es erfährt und ruf den Pastor. Ich werde dem Ministerium Bericht erstatten.«
     
    Er musste zur Ruhe kommen, nachdenken. Seine Nerven flatterten. Er lief ans Meer, stapfte am Ufer entlang. Er erschrak, glaubte, einen Knochen zu sehen, aber es war nur ein Stück ausgeblichenes Stück Treibholz. Er watete weiter. Diese Baustelle brachte ihn an den Rand seiner Belastbarkeit. Er würde Groth aufs Festland schicken. Er musste so schnell wie möglich neue Arbeiter finden.
    Er starrte in die Wellen. Die See ging hoch. Er sah einen Zweimaster in den Wellen tanzen. Er schlingerte merkwürdig vor der Küste. Er verfolgte seine Bewegungen. Das Schiff schien Schwierigkeiten zu haben. Fieber stieg in ihm auf. Schüttelfrost überfiel ihn. Er riss sich zusammen. So schnell wie möglich lief er zur Strandvogtei.
    Nissen saß am Küchentisch.
    »Beeilen Sie sich, da draußen ist ein Schiff in Not.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Es schlingert vor den Sanden. Machen Sie das Rettungsboot klar.«
    Nissen nahm seine Mütze vom Haken. »Das guck ich mir erst mal an.«
    »Sagen Sie sofort den Männern Bescheid.«
    »Ich seh erst mal nach. Ein bisschen Schlingern muss noch lange nichts bedeuten. Außerdem stürmt es gar nicht.«
    Sie erreichten den Strand. Das Schiff war bereits gestrandet. Der Wind trieb Hilferufe ans Ufer.
    Nissen setzte sein Fernglas ab. »Dann werde ich mal die Berger zusammenrufen.«
    »Tun Sie doch endlich was! Beeilen Sie sich! Die Deckskajüte ist schon abgerissen.«
    »Das dauert so lange, wie es dauert. Wir müssen das Rettungsboot erst durch die Dünen ziehen.«
    Nissen verschwand. Der Zweimaster brach auseinander, eine ganze Schiffsseite überschlug sich, eine andere Trümmermasse trieb dem Strand entgegen. Schreie drangen ans Ufer. Andreas Hartmann taumelte. Der Schweiß brach ihm aus allen Poren. Dann sackte er zusammen und verlor die Besinnung.
    Holzscheite, Stricke und andere Schiffsgegenstände trieben ans Ufer. Männer, Frauen und Kinder strömten aus ihren Dünenverstecken und griffen nach dem, was zu holen war. Als der Strandvogt mit seinen Leuten kam, waren alle verschwunden. Auch Keike war bereits auf dem Heimweg. Sie hatte ein gutes Tau erwischt, das sicher in ihrem Versteck lag. Auch die Männerkleidung war wieder verstaut. Nur die schöne Tabaksdose, die sie aufgefischt hatte, trug sie in ihrer Jackentasche.
     
    Knudt Nissen rüttelte den Ingenieur, der immer noch am Boden lag. »Alles in Ordnung?«
     
    Andreas Hartmann vernahm Nissens Stimme nur entfernt. Langsam kam er zu sich. »Danke, es geht schon.«
    Nissen half ihm auf. Andreas Hartmann schrie gellend. Mehrere Leichen lagen neben ihm im Sand aufgereiht.
    Nissen kratzte sich am Kopf.
    »Da war nichts mehr zu machen.«
    Andreas Hartmann hörte ihn nicht. Skelette sprangen mit

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