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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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Sandhügel vor sich, die ihn von der weit ausgedehnten Strandfläche trennten. Er umging die Meerwasserpfützen, die in den Sandmulden standen, in denen sich der blaugraue Himmel spiegelte. Er fühlte sich nicht besser. Die ganze Landschaft hüllte sich in bläuliches Grau. Blaugrau die Wolken, blaugrau der Sand, blaugrau das Meer. Es war zum verrückt werden.
    Er erreichte den Meeressaum. Das Wasser floss in langen Zungen über den Boden. Die Flut kam. In den Wellen wippten Hunderte von Möwen. Sie warteten auf Nahrung. Eine Woge überschlug sich. Die Vögel wurden hochgeschleudert und breiteten ihre Flügel aus, um sich wieder auf dem Wasser niederzulassen. Eine andere Möwenschar saß in der auslaufenden Gischt und pickte nach Krabben und Gewürm. Dazwischen trippelten Strandläufer. Sie rannten so schnell, dass er ihre einzelnen Schritte nicht erkennen konnte. Nur kurz blieben sie stehen, um ebenso gehetzt ihre Schnäbel in den Meeresboden zu stecken. Das war sein Zustand. Das war sein Leben, dachte Andreas Hartmann. Rennen und picken, picken und rennen, rastlos, hektisch, in steter Angst vor dem Ertrinken. Ohne Ruhe. Ohne Muße. Es nahm kein Ende. Er war ständig auf der Flucht, vor seinen Ängsten, vor Almut. Er reiste von einer Baustelle zur anderen und versuchte der Vergangenheit und der Gegenwart zu entkommen. Er spürte heftige Stiche im Brustkorb, lief zurück in die Dünen. Er musste ausruhen, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. In einer windgeschützten Mulde ließ er sich niederfallen. Sein Herz raste. Er würde liegenbleiben und warten, bis sein Herzschlag sich beruhigt hätte. Doch er fuhr pfeilschnell wieder auf. Eine unsichtbare Kraft ließ ihn vorwärts stolpern. Er fühlte sich wie ein Dünenhalm, der hin und her flatterte. Nein, ein Dünenhalm hatte Halt, auch wenn er auf kargem Boden wuchs. Aber er, er taumelte, wurde hin und her geschleudert wie Herbstblätter, die sich in irgendeiner Ecke häuften, um dort zu vermodern.
    Es trieb ihn in seine Baracke zurück. Er warf sich aufs Bett und versteckte sich unter der Decke. Seine Gedanken ließen sich nicht abstellen. Er schluchzte auf. Er konnte sich in keinen noch so einsamen Winkel verkriechen, um seiner Sehnsucht nach Keike zu entkommen.
    Seine gut und präzise abgesteckte Welt zerbröckelte wie falsch angerührter Mörtel. Sie war unbrauchbar geworden. Nichts galt mehr. Er hatte immer gedacht, er müsse seine Ehe hinnehmen, wie sie war. Jeder musste das doch schließlich. Almut trat ihm vor Augen, wie sie ihm einen Krümel von der Wange wischte, wie sie aus ihren staubigen und vergilbten Religionsbüchern vorlas, die ihn zu Hustenanfällen reizten. Manchmal, wenn er schlief, saß sie auf seiner Bettkante und betete. Nicht einmal im Schlaf war er frei.
    Almuts Seele war von Frieden erfüllt. Stimmte das? Kannte er Almut überhaupt? Was wusste er schon von ihr? Manchmal schaute sie ihn scharf und böse von der Seite an, ohne etwas zu sagen. Dieser Blick war alles andere als sanft. Vielleicht trieb sie es mit dem Pastor oder mit dem Hausarzt. Und nur er war ihr nicht angenehm. Vielleicht fühlte sie ihm gegenüber das Gleiche wie er ihr gegenüber?
    Er schüttelte diesen Gedanken ab. Unsinn. Sie liebte ihn sehr. Sie liebte ihn auf ihre Art. Eine Art, die ihn zu seinem eigenen Schatten werden ließ. Sein ganzes Leben erschien ihm auf einmal abgezirkelt wie der Durchmesser seiner Leuchttürme. Keine Überraschungen, alles genau berechnet. Er war ein gewissenhafter, achtbarer Mensch, ein nützliches Mitglied der Gesellschaft, würde man sagen. Aber was war mit seinen ureigensten Wünschen? Sollte er sie sein ganzes Leben lang unterdrücken? Seine Ehe war eine körperlose Liebenswürdigkeitsfolterkammer. Warum erduldete er diesen Zustand? Warum wehrte er sich nicht?
    Eine Fliege stieß unablässig an die Scheibe. Dann setzte sie sich, krabbelte hektisch über das Glas. Sie unternahm einen neuen Versuch, flog auf, brummte, prallte wieder gegen die Scheibe, die sie von der Freiheit trennte.
     
    H
     
    Die Front des Krankenhauses Sankt Georg lag zur Stadt hin, der rechte Flügel zeigte zur Lohmühle, nahe der Alster. Das ganze Gebäude bildete ein längliches Viereck. Der rechte, nach der Alster gelegene Flügel war für die weiblichen, der linke, zum Stadttor gelegene für die männlichen Kranken bestimmt. An den Ecken des Gebäudes befanden sich ein vorderer und ein hinterer Pavillon. Der hintere Pavillon war durch eine starke Bretterwand und

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