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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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ihrem Duft, nach dem Klang ihrer Stimme, ihren golden schimmernden Haaren, ihrer Wildheit unter dem Witwenkleid. Wenn er einatmete, schien es ihm, als sei die Luft von ihren Küssen erfüllt. Von ihr ging eine Wärme, Offenheit und Hitze aus, auf die er nicht mehr verzichten wollte.
    Er würde mit Keike davonlaufen, weg von allem. Und mit ihr ein neues Leben anfangen, weit weg von hier. Was für Gedanken waren das? Fliehen? Und sein Haus? Die Kinder? Sein Beruf? Seine Stellung? Feige Gedanken. Was blieb ihm denn? Konnte er, nach dem, was er erkannt hatte, noch mit Almut leben? Seine Ehe war zerbröckelt wie morsches Holz.
    Es lohnte sich nur, für Keike zu leben. Sie war der Höhepunkt der Lebendigkeit, des Glücks, der Lebensfreude. Das wusste er nun. Sie brannte lichter als jeder Leuchtturm und brachte ihm mehr Bestätigung, als er jemals erfahren hatte. Die Liebe, die er mit Keike lebte, veränderte ihn. Sein Gang war fest und kräftig geworden. Und seine Stimme klang plötzlich tiefer. Das Brüchige, sein stetes Räuspern, das ihn sonst beim Sprechen quälte, war verschwunden. Seine Worte formten sich zu sonoren Sätzen. Die traurigen Klumpen, die seine Stimme verschleimt hatten, hatten sich aufgelöst.
     
    H
     
    Groth traf mit der neuen Maurerkolonne ein. Gleichzeitig kamen weitere Steine. Der Turm benötigte dreihundertsechzehn Granitstufen und eineinhalb Millionen Mauer-und Klinkersteine, die alle abgeladen und vom Hafen zur Baustelle transportiert werden mussten. Andreas Hartmann war beunruhigt. Dies war erst die zweite Lage. Nicht auszudenken, wenn die nächste Fuhre nicht rechtzeitig eintraf. Es mussten genügend Steine vorhanden sein, sonst könnte er die verlorene Zeit niemals einholen. So schnell wie möglich wurden die Schiffe entladen und die Steine zur Baustelle transportiert. Währenddessen drängte Andreas Hartmann die Maurer, sogleich die erste Steinlage der Wände für den eigentlichen Leuchtturm zu schichten und die Wendeltreppe einzupassen. Er ließ sie nicht aus den Augen. Er traute auch dem neuen Polier nicht. Die Wände zu mauern, barg Risiken. Die Außenflächen und der Neigungswinkel der Verjüngung mussten exakt stimmen, da der Turm sonst schief wurde. Und die Mörtelsorte war wichtig. Lange hatte er gegrübelt, bis er sich für Puzzolanmörtel entschieden hatte. Er wurde fester, brauchte aber länger, um auszuhärten. Die Mörtelmischer rührten, die Kellen klapperten und schmirgelten. Die Arbeiter passten Stein für Stein ein. Zuerst ging es nur langsam voran, aber je höher der Turm, desto flinker wuchsen die Steinschichten und Treppenstufen. Auch Störungen oder Diebstähle kamen nicht mehr vor. Andreas Hartmann vermutete, dass die vielen Taldsumer Männer, die bei den letzten Strandungen ertrunken waren, die Insulaner umgestimmt hatten. Jedenfalls ließen sie ihn seinen Leuchtturm bauen, ohne jedoch zu unterlassen, weiterhin Strandgut zu sammeln.
     
    Andreas Hartmann nutzte das gute Wetter und das zunehmende Tageslicht. Wenn das Wetter sich hielt und der Mörtel gut austrocknete, könnten sie in drei Tagen das erste Stockwerk erreichen. Er ließ die Arbeiter von morgens um fünf bis acht Uhr abends arbeiten. Die Männer erhielten höhere Prämien und besseres Essen. Auch er selbst schuftete von morgens bis abends. Nachts traf er sich so oft wie möglich mit Keike. Die viele Arbeit und die durchwachten Nächte zerrten an seinen Nerven. Er war reizbar, am Ende seiner Reserven. Er konnte sich schon seit geraumer Zeit nicht mehr konzentrieren. Er machte erste Flüchtigkeitsfehler bei der Arbeit. Er musste sich zusammenreißen. Irgendwann geschah womöglich ein grobes Versehen, das sich nicht mehr ohne Weiteres ausbügeln ließ.
    Er müsste mehr schlafen. Keike hinderte ihn daran. Je höher der Turm wuchs, desto mehr Verlangen hatte er nach ihr. Ein Fieber glühte in ihm. Er verlor die Kontrolle über sich, fühlte sich wie verhext. Die Aussicht, die Insel bald verlassen zu müssen, raubte ihm fast den Verstand, trieb ihn zu Keike, vervielfachte sein Begehren, bei ihr zu sein, sie zu riechen, zu schmecken, zu fühlen. Gleichzeitig trieb er die Arbeiter an, um den Termin für die Einweihung einzuhalten. Als hätte man ihn in zwei Teile gerissen. Als wäre ein Blitz durch ihn hindurchgeschossen. Er war nicht mehr er selbst.
     
    H
     
    Erster Untersuchungsbericht des leitenden Arztes Professor Friedrich Gwinner – Irrenabteilung des Krankenhauses Sankt Georg
     
    Die ersten vier Tage

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