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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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sich wie ein Sturmvogel, der in unbegrenzter Freiheit seine Schwingen ausbreitete, durch die Luft segelte, getragen vom Wind, getragen von Keike, die mit ihm spielte und scherzte, ihn absinken ließ, um ihn dann lachend wieder in die Höhe zu heben. Er tanzte mit dem Wind. Und der Wind duftete nach Seetang, Dünenrosen und Sanddorn. Er sehnte sich, an Keike zu schnuppern, ihren betörenden Duft einzusaugen, der ihn, vermengt mit ihrem süßlich herben Liebesschweiß, fast um den Verstand brachte.
    Sein Magen schmerzte vor Verlangen. Was war mit ihm geschehen? Er hatte sich verliebt. In eine Meerfrau. Sie netzte sein Herz, badete seine Seele. Sie zog ihn in die Tiefe seiner Selbst. Es war eine Tiefe, die er nie wieder verlassen wollte, obwohl er ahnte, dass das nicht möglich sein würde. Er wünschte, er wäre Neptun und könnte ihr einen Delfin als Brautwerber schicken. Sie würde auf den Rücken des Delfins steigen, in hohen Sprüngen über das Meer eilen und sich mit ihm vermählen.
    Andreas Hartmann spürte einen Stoß im Magen. Wohin trieben ihn die Gedanken? War er von Sinnen? Er hatte sich mit einer liebeshungrigen Witwe eingelassen, die ihn völlig durcheinander brachte. Welche Kraft von ihr ausging. Er musste zur Vernunft kommen. Wenn er es recht bedachte, benahm sie sich nicht anders als eine Dirne. Sie hatte ihn verführt. Er musste sich zusammennehmen, ihr widerstehen. Er würde seinen Leuchtturm errichten und wieder nach Hause zurück, zu Almut und den Kindern fahren. Zu Almut und ihrer Güte, ihrer Tugendhaftigkeit, ihrer Frömmigkeit. Ein kalter Schauer zog durch ihn hindurch. Almut hatte seine Sinneslust in eine vertrocknete Qualle verwandelt. War es nicht so? Wenn er Almut an sich zog, spürte er stets, dass sie sich ihm gleichzeitig entzog, es war ein leichtes Zucken, ein kaum merkbarer Widerstand, der ihm sagte, dass er ihr nicht angenehm war. Sie fand kein Vergnügen an ihm, an seinem Körper. Sie empfand Scham, Duldung, Unlust. Es gab keine Überraschungen in ihrem Liebesspiel. Konnte er es überhaupt Liebesspiel nennen? Es war eine Liebesvereinbarung. Almut gewährte ihm pflichtbewusst, sein Begehren zu befriedigen. Dieses gleichmütige Stillhalten, er hatte sich nie damit abfinden können.
    Zu Hause gab es keinen Wind, der ihn neckte, kein sprudelndes Lebenswasser, das ihn netzte. Dennoch, es durfte nicht sein. Er war ein Mann mit Verantwortung. Sollte er seinen Kindern ein Leben ohne Vater bereiten, seine Frau ins Unglück stürzen, sein Heim aufgeben? Er sah in den Himmel. Eine Sturmmöwe tänzelte in den Strömungen des Windes, sie kreischte vor Vergnügen. Der Wind heulte auf, jagte den Sand zum Meer. Eine abgrundtiefe Traurigkeit erfasste ihn. Die Liebe war zu ihm gekommen, und mit ihr grenzenloses Leid. Er erhob sich, ließ sich vom Wind ans Meeresufer treiben. Der Wind tönte seine berauschende Melodie, fegte ihn und den Sand über den Strand. Die Sandkörner klangen wie leises Blätterrascheln, wenn sie über die Muscheln streiften. Wie Keikes Atem in seinen Ohren. Er erreichte den Meeressaum, schritt über einen Muschelstreifen. Die Schalen zerbrachen unter seinen Füßen. Er blickte über das wellenlose Wasser. Eine Meerfrau winkte ihm zu. Dann verschwand sie im Schoß der Fluten. Die Sonne versteckte sich hinter einer dunklen Wolke. Das Meer rollte seinen grauen Teppich aus.
     
    Keike stand im Gemüsebeet und hackte Unkraut. Sie sah Andreas vor sich, seine Augen, die wie grüner Bernstein schimmerten, seinen vollen Mund, der verschmitzt lächelte. Das dunkelbraune Haar, das sich in kleinen Locken kräuselte. Groß und schlank war er. Er duftete nach Seife und Rasierwasser. Sie hätte vor Glück weinen mögen.
    Er trug keinen Bart. Sein Kinn war samtweich, seine Wangen dufteten herb wie getrocknetes Gras. Sie schmeckte seinen frischen Atem auf der Zunge. Sie stützte sich auf den Stiel ihrer Hacke. Ihre Nasenflügel blähten sich wie Segel. Sie fächerten ihr seinen Wohlgeruch zu. Sie legte den Kopf in den Nacken, betrachtete das Wolkenspiel im Himmel. Die Wolken schoben sich ineinander, entzerrten sich wieder, bildeten Rauchfahnen. Irgendetwas kam ihr merkwürdig vor, riss sie aus ihren Träumen. Sie schnupperte. Der Andreas-Duft verflog, plötzlich nahm die Luft einen sonderbaren Geruch an. Keike schloss die Augen, sog die Luft tief in sich ein. Es roch anders als Sturm. Und der Wind kam aus Südost. Südostwind war kein Sturmwind. Dennoch glaubte sie sich von Sturm umgeben. Keike

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