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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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schon spät und ich bin sehr müde. Ich schließe jetzt. Morgen geht der Brief mit der Fähre aufs Festland, damit Du endlich Nachricht von mir hast.
    Habt es gut daheim und bleibt gesund!
     
    Euer Andreas
     
    H
     
    Er hockte in einer Kellerecke, umgeben von fauligen Strohsäcken, Urin und Exkrementen, die sich auf den Fliesen anhäuften. Hagere, leichenhafte Gestalten mit blassen, abgezehrten Gesichtern saßen an die Wände gelehnt, schlurften oder krochen im Raum umher. Einige Irre spielten an ihren Genitalien, andere kauten Nägel. Oder sie kratzten sich. Ein Mann barst vor Lachen, ein anderer brabbelte unentwegt. Von Zeit zu Zeit ein Winseln, Röcheln. Oder Wutgeheul der Rasenden, die an Pfosten gebunden waren oder aus den Einzelzellen herausschrien, wo sie in Zwangsjacken geschnürt litten.
    Er hockte mit nackten, blassen Gliedern auf einem Haufen Stroh. Sein Gesicht war totenbleich, durchzogen von rötlichen Äderchen wie bei einem Schwindsüchtigen. Sein Kopf fiel nach unten. Die Augenlider klappten über seine leblosen Augen. Seine trockene Zunge hing ihm über die rissige Unterlippe. Er war ungeheuer durstig. Warum gab man ihm nichts zu trinken? Wasser, er wollte Wasser. Er ruckelte am Pfosten, konnte sich nicht befreien.
    »Ich will Wasser! Wasser!« Andere Irre fühlten sich dazu aufgefordert, mitzuschreien. Ein schriller Klangteppich von wiehernden, feixenden, stöhnenden Lauten und Rufen breitete sich im Kellergewölbe aus. Eine Eisenklappe schabte. Der Wärter öffnete das Pförtchen in der Tür, von wo aus er die Kranken beobachten konnte.
    »Wasser, ich möchte trinken. Wir haben kein Wasser mehr.«
    Sie kamen zu zweit. Einer von ihnen trug einen Eimer Wasser und eine Schöpfkelle, der andere schützte ihn. Andreas Hartmann blickte sie mit halb offenen Augen an. Der Wärter mit dem Eimer kam auf ihn zu. Ein Koloss von Knochen und Fleisch. Eine lebende Maschine, eingewickelt in einen grünen Kittel. Sein Hals glich dem eines Stiers. Seine Unterlippe verschwamm mit dem Kinn zu einer Fettmasse. Die rot gefleckten Wangen glänzten fettig, sein Mund war groß und krumm, die Zähne schwarz und schief. Der Wärter glotzte ihn an mit einer Einfältigkeit, die Brutalität verhieß. Ein bösartiger Hanswurst, dachte Andreas Hartmann.
    Der Wärter hielt ihm eine Kelle Wasser an den Mund. Es rann ihm das Kinn hinunter. Er verschluckte sich, musste husten.
    »Mehr!«, rief er.
    »Schlagt ihn tot!«, schrie plötzlich einer der Insassen. »Nieder mit der Kanaille!«
    Ein drohendes Gebrüll erschallte aus den Kehlen der Männer. Ihre erloschenen Augen begannen zu funkeln und zu zucken. Sie liefen auf die Wärter zu. Diese flohen aus dem Saal. Ein triumphierendes Lachen brandete auf. Die Eisentür wurde verriegelt. Danach folgte Stille. Wie eine Viehherde, die in den Stall geht, zogen sich die Kranken zurück.
    Andreas Hartmann hockte in seiner Ecke. Er hatte kaum die Kraft zu atmen. Der säuerlich-beißende Geruch der ungewaschenen Körper und Exkremente verursachte ihm Übelkeit und Kopfschmerzen. Warum hörte er nicht ganz auf zu atmen? Warum pumpte seine Lunge immerzu neue Luft in ihn hinein und hinaus? Was hatte er in dieser Hölle zu suchen? Er war nicht verrückt, er war niemals verrückt gewesen. Es waren nur seine Nerven. Sie waren zu schwach gewesen, seiner Seele zu gehorchen. Sein ganzes Leben kam ihm wie eine einzige, ewige lähmende Ohnmacht vor. Aber er war doch nicht irre. Lieber tausend Tode als ein Leben wie dieses. Lieber tausend Tode.
    Nein, er war nicht verrückt. Er dachte zu viel. Um gesund zu bleiben, mussten viele Gedanken, die man dachte, die ständig in die Seele einströmten, schnell wieder verdunkelt werden. Bei ihm aber verdunkelte sich kein Gedanke. Er ertrank in Gedanken. Sie verwirrten ihn und schafften Unordnung. Sie hemmten seine Klarheit im Denken, verwandelten sich in unzusammenhängende Fetzen. Oder sie kämpften miteinander. Die guten und die bösen Gedanken trugen Gefechte aus, sie rangen, verkeilten sich, bis sein Hirn nicht mehr in der Lage war, Gut und Böse zu unterscheiden. Aber das wiederum war normal. Das war noch lange kein Grund, ihn in dieses schimmelige Verlies zu sperren. Ein eisiges Gefühl durchdrang seinen Leib. Grauen erfasste ihn. Er hockte in diesem Keller, dazu verurteilt, hier auf den Tod zu warten. Irgendwann würde er in seinem eigenen Kot ersticken.
    Unbezwingbare Angst überfiel ihn. Nebel dampfte auf, strich feucht und schwer über ihn. Eine Schar

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