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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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in Kenntnis zu setzen …
     
    Andreas Hartmann warf die Feder beiseite. Er löschte die Lampe, zog seine Jacke über und eilte zu Keike.
     
    Der Regen hatte alles durchfeuchtet. Wege, Dünen und Wiesen waren wie ein Schwamm voll Wasser gesogen. Das Vieh auf den Weiden rückte näher zusammen, um sich zu wärmen. Und die Vögel verbargen sich in ihren Schlupfwinkeln.
    Keike hatte ihr Schultertuch über den Kopf geschlungen, um sich vor der Feuchtigkeit zu schützen. Sie lief zu Hansens Fischerhütte. Sie war sehr müde. Es war schon nach zehn. Der Tag war sehr anstrengend gewesen.
    Die Erde gab unter jedem Schritt schmatzende Geräusche von sich. Je näher sie der Hütte kam, desto mehr lebte sie auf. Vier lange Tage hatte sie Andreas nicht gesehen.
    Die Hütte lag einsam und verlassen. Niemand benutzte sie, seit Hansen tot war. Sie trafen sich nicht das erste Mal dort. Keike öffnete die Tür. Sie tastete sich durch den Raum. Eine Kerze entzündete sie nicht, damit kein Licht nach außen drang. Das kleine Fenster verhängte sie mit einem alten Kaffeesack. Sie holte die Decke aus der Ecke, breitete sie auf alten Fischernetzen aus und setzte sich in die Mulde.
    Sie wartete nur kurze Zeit. Andreas kam herein. Sie küssten sich.
    »Ich habe uns Essen mitgebracht, und Wein«, sagte er.
    »Hast du deine Fußstapfen gut verwischt?«
    »Ja, so gut es eben ging. Wie soll man das bei nassem Wetter machen?«
    »So, wie ich es dir gezeigt habe.«
    Er setzte sich neben sie. Sie küssten sich innig. Alles, was dann geschah, ereignete sich in der Dunkelheit der Hütte.
     
    Es war nach Mitternacht. Andreas war zur Baustelle zurückgegangen. Um keine Spuren zu hinterlassen, räumte Keike die Decke und das Netz zurück. Sie verließ die Hütte, schloss die Tür, deren Eisenhaken leise klapperte. Sie wollte sich gerade umdrehen, als sie von derben Männerhänden gepackt wurde. Der Mann wollte sie in die Hütte zerren. Keike stieß ihre Zähne in seine Hand, schlug nach hinten aus. Sie nutzte die Sekunde, in der er die Tür öffnen wollte, und zog ihr Messer. Dann stach sie zu.
     
    Sie strauchelte über Sand und Muschelsplitter. Stolperte weiter, spürte Feuchtigkeit und Kälte unter den Fußsohlen. Wasser umspülte ihre Füße, die Knöchel. Sie hielt ihr Messer in der rechten Hand. Seine Klinge war blutig. Das Blut tropfte in das Meer. Es zischte und glühte. Rote Funken sprühten. Sie watete tiefer ins Wasser hinein. Ihr Rocksaum wurde nass. Das Meer umspülte jetzt ihre Knie. Immer tiefer zog es sie. Hinter ihr ein langer feuriger Streifen. Sie stand nun bis zur Hüfte im Nass, tauchte ihr Messer ein, zog es mehrmals kräftig durch das Wasser. Das Meer loderte auf wie eine Feuersglut. Es brannte lichterloh. Sie stand in Flammen. Sie hatte Angst, zu verkohlen. Keike zog ihr Messer aus dem Wasser, watete zum Ufer zurück. Der Himmel war mit dunklen Wolken verhangen. Ihre Augen schweiften über das Meer. Es glühte nicht mehr.
     
    H
     
    Der letzte Stein, der Sturz der Tür zum Laternenhaus, wurde eingepasst. Die Laterne war eingefügt, der Innenausbau abgeschlossen. Fehlten noch die Leuchtturmwärter. Die Männer von der Insel, die der neue Strandvogt ihm vorgeschlagen hatte, lehnte Andreas Hartmann ab. Stattdessen entschied er sich für zwei vertrauenserweckende Männer vom Festland. Er wies sie in ihre Aufgaben ein. Hatte er an alles gedacht? Dienstbücher, Materialbericht, Signalflaggen, Regenmesser, Anzünden der Feuer, Bedienung und Wartung der Leuchtapparate, Urlaub und Vertretung. Alles schien angesprochen. Die Leuchtturmwärter verließen seine Baracke. Andreas Hartmann nahm einen Bogen hervor, um das Einweihungszeremoniell zu planen.
    Sein Blick fiel auf den Brief von Almut. Zehn Tage lag der Brief schon ungeöffnet auf der Fensterbank. Auch heute sträubte sich alles in ihm, ihn zu lesen. Die letzten Tage wollte er nur an Keike denken, sich so oft wie möglich mit ihr treffen, sie an sich ziehen und nicht wieder loslassen.
    Es klopfte. Die Tür knarrte. Lorenzen kam herein.
    »Hast du schon gehört? Unser Kojenmann ist spurlos verschwunden.« Der Kapitän setzte sich ohne Aufforderung auf den Hocker und legte seine Mütze auf den Tisch. »Wir haben ihn überall gesucht. Die Insel hat ihn verschluckt. Wieder einer weg. Ich mache mir so meine Gedanken.« Er beugte sich weiter nach vorn. »Ocke trieb sich oft in den Grabgewölben bei den Ahnen herum. Im Sommer schlief er in der Totengruft, weil er dort seine Eier lagerte.

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