Die Insel der Witwen
Sie kribbelten und kitzelten, wurden immer lästiger. Sie lachten, begannen, sie zu verscheuchen.
»Komm«, lockte Keike, »wir gehen ins Meer.«
»Ins Meer? Niemals!«
»Die Wellen sind nicht gefährlich«
»Ich kann nicht schwimmen.«
»Du wirst Grund unter den Füßen haben.«
»Und wenn uns jemand sieht?«
»Es ist Mittag. Es ist heiß. Und kaum Wind. Niemand geht bei dieser Hitze an den Strand.«
Das Meer lag von der Sonne angestrahlt vor ihnen, wie ein Teppich aus glitzernden Lichtstreifen, die auf dem Wasser aufblitzen. Keike nahm seine Hand. Sie liefen über den Strand. Der Sand war heiß, brannte so sehr unter den Füßen, dass sie wie Strandflöhe hüpften, bis sie feuchten Sand unter den Fußsohlen spürten. Keike lief weiter. Sie warf sich ins Wasser. Er stand am Ufer. Die Schultern nach oben gezogen. Sie kam auf ihn zu, wollte ihn umarmen. Er lief davon. Keike verfolgte ihn, sie ließ ihn nicht entkommen, bis er sich ins Nass stürzte, mit einem Aufschrei der Empörung.
Sie tollten wie die Robben, drehten und rollten sich, bedeckten sich mit salzigen Küssen. Dann liefen sie in ihr Versteck zurück und ließen ihre Körper trocknen, bis sich ein weißer Salzfilm auf der Haut bildete, bis ihre Lippen von Neuem begannen, sich zu suchen und ihre Körper zueinander strebten.
Sie lagen in ihrem Dünennest, liebesgetränkt aneinandergeschmiegt wie zwei Kätzchen. Andreas schnurrte.
»Ich liebe dich.«
Keike hielt ihn im Arm. Sie fühlte sich wie eine geöffnete Auster, deren Perle in der Sonne glänzt. »Und du bist mein Krebs«, lächelte sie, und begann zu erzählen. »Es war einmal ein einsamer Einsiedlerkrebs. Dass er einsam war, wusste er nicht, weil er nichts anderes kannte. Er lebte im Schneckengehäuse einer Wellhornschnecke. Eines Tages kam eine räuberische Möwe geflogen. Der kleine Krebs konnte sich gerade noch im Watt einbuddeln und dadurch sein Leben retten. Aber das Schneckengehäuse hatte die Möwe mit ihrem scharfen Schnabel ganz und gar zerhackt. Der kleine Krebs war noch nie ohne Haus gewesen. Er hatte furchtbare Angst, denn er hatte am hinteren Teil keinen Panzer. Er krabbelte hierhin und dorthin. Es war wie verhext. Nirgendwo war ein neues Schneckenhaus zu finden. In seiner Not fragte er eine Scholle, ob er unter sie kriechen dürfe. Die Scholle sagte: ›Ich mag keine Krebse.‹ Dann traf er eine Herzmuschel. Die meinte: ›Ich bin viel zu klein, und du bist viel zu schwer. Und außerdem will ich nicht, dass du an mir klebst.‹ Der Krebs war den Tränen nahe. Ohne Haus wollte und konnte er nicht leben. Er fragte die Quallen, die Seeigel, selbst die Wattwürmer, die aus ihren Häufchen herausguckten, fragte er, ob er in ihrem Hügel wohnen könnte.
Als die Flut kam, hatte er immer noch kein neues Haus. Es war ein Wunder, dass er überhaupt noch lebte. Da sah er eine Auster in einer Meerespfütze baden. Er lief auf sie zu: ›Liebe Auster, ich habe mein Haus verloren, darf ich bei dir wohnen?‹
›Klar, komm rein‹, klapperte die Auster, ›ich habe gerade meine Perle verloren. Es ist Platz genug.‹ Sie öffnete ihre Schalen. Der kleine Krebs krabbelte hinein und weinte vor Freude. Er hatte ein richtiges, weiches Bett, nicht nur eine harte Schneckenschale. So schön hatte er noch nie gewohnt.
Eine herrliche Zeit begann. Morgens öffnete die Auster die Schalen und klapperte: ›Aufstehen, Morgenbrot.‹ Dann brauchte er nur seinen Mund aufhalten und schon schwammen ihm lauter Leckereien in den Mund. Wenn Gefahr drohte, klappte sie sofort das Haus zu. Dann lag er in ihrem Panzer geschützt und machte ein Schläfchen. Denn Angst brauchte er nicht mehr zu haben. Eine Austernschale war dick und hart.
Wenn die Sonne schien, sonnten sie sich am Rande einer Wattenpfütze. Dann krabbelte er heraus und streckte sich auf ihrem Muschelpanzer aus. Manchmal trommelte er mit seinen Scheren auf der Schale. Das gab wunderbare Töne, und die Auster klapperte dazu. Es klang wie Kastagnetten. ›Ich bin eine spanische Auster‹, lachte sie stolz, und sang dazu ein spanisches Lied. Wenn die Flut kam, ließen sie sich durch die Wellen gleiten. Die Auster steuerte, und der kleine Krebs lag warm und mollig in seinem Muschelbett. Er war so glücklich, dass ihm zum Weinen zumute war. Wie einsam war er doch gewesen. Und welch ein Glück war es, dass er die Auster gefunden hatte. Und er begann, seine Freundin mit den Scheren zu streicheln und zu liebkosen.
Die Auster seufzte: ›Du bist mir die
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