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Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. G. Wells
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ihn, wandte mich scharf und blickte von der anderen Seite unverwandt hinauf. Der Rand stand schwarz und scharfumrissen vor dem dunklen Himmel.
    Und gleich darauf schob sich einen Moment lang eine unförmige Masse vor die Himmelslinie und verschwand gleich wieder. Ich war überzeugt, daß mich mein braungesichtiger Gegner neuerlich beschlich. Und zugleich erlangte ich die unangenehme Gewißheit, daß ich den Weg verloren hatte.
    Eine Zeitlang irrte ich, von den unsichtbaren Schritten verfolgt, in hoffnungsloser Ungewißheit weiter. Was es auch war, dem Wesen fehlte es entweder an Mut, mich anzugreifen, oder es wartete, um mich an einer günstigen Stelle zu packen. Ich hielt mich sorgsam auf offenem Terrain. Ab und zu drehte ich mich um und horchte, und dann versuchte ich mir einzureden, daß mein Verfolger die Jagd aufgegeben habe oder nichts als eine Ausgeburt meiner aufgeregten Phantasie sei. Da hörte ich das Rauschen des Meeres. Ich beschleunigte meine Schritte, dann lief ich, und sofort hörte ich hinter mir ein Stolpern.
    Ich drehte mich ruckartig um und starrte auf die Bäume hinter mir. Ein schwarzer Schatten schien sich mit einem anderen zu vereinigen. Ich horchte, ohne mich zu rühren, und hörte nichts als das Pochen des Blutes in meinen Ohren. Ich dachte, meine Nerven seien überspannt und meine Phantasie täusche mich; ich wandte mich entschlossen wieder dem Rauschen des Meeres zu.
    Nach etwa einer Minute erreichte ich eine kahle niedrige Landzunge, die in das düstere Wasser hineinragte. Die Nacht war ruhig und klar, und der Widerschein der Sterne zitterte im ruhigen Heben des Meeres. Weit draußen leuchtete die Brandung auf einem unregelmäßigen Band von Riffen in einem bleichen, eigenartigen Licht. Ich sah, wie sich im Westen das Zodiakallicht mit dem gelben Glanz des Abendsterns mischte. Die Küste fiel gegen Osten ab, und nach Westen zu war sie durch den Rücken des Vorgebirges verborgen. Dann besann ich mich auf die Tatsache, daß der Strand bei Moreaus Haus nach Westen zu lag.
    Hinter mir brach ein Ast, und ich hörte ein Rascheln. Ich wandte mich um und stand vor den dunklen Bäumen. Ich konnte nichts sehen - und dennoch sah ich zuviel. Jeder Umriß im Dunkel wurde zu einer unheilvollen, lauernden Gestalt. So stand ich vielleicht eine Minute lang, und dann wandte ich mich, immer noch mit einem Auge auf den Bäumen, nach Westen, um über die Landzunge hinüberzugehen. Und sowie ich mich rührte, bewegte sich auch einer der Schatten und folgte mir.
    Mein Herz schlug rasch. Dann wurde die weite Fläche einer sich nach Westen öffnenden Bucht sichtbar, und ich stand wieder still. Der geräuschlose Schatten hielt einige Meter hinter mir. Ein kleiner Lichtpunkt glänzte, vielleicht zwei Meilen weit weg, an der ferneren Biegung des Ufers, und die graue Fläche der Sandbucht lag blaß unter dem Sternenlicht. Um an den Strand zu kommen, mußte ich durch den Wald gehen, wo die Schatten lauerten, und dann einen mit Sträuchern bewachsenen Hang hinuntersteigen.
    Ich konnte das Wesen jetzt etwas deutlicher sehen. Es war kein Tier, denn es stand aufrecht. Da öffnete ich den Mund zum Sprechen, hatte aber einen Kloß im Hals, der mir die Stimme erstickte. Ich versuchte es noch einmal und rief: »Wer ist da?« Es kam keine Antwort. Ich ging einen Schritt weiter. Das Wesen rührte sich nicht; spannte nur jeden Muskel. Mein Fuß stieß an einen Stein.
    Da kam mir eine Idee. Ohne die Augen von der schwarzen Gestalt vor mir abzuwenden, bückte ich mich und hob den Stein auf. Aber bei meiner Bewegung wandte sich das Wesen unvermittelt, wie ein Hund, und schlich schräg ins Dunkel hinein. Dann fiel mir ein Schuljungenmittel gegen große Hunde ein; ich knotete den Stein in mein Taschentuch und schlang es mir ums Handgelenk. Ich hörte eine Bewegung im Unterholz, als ob das Wesen auf dem Rückzug sei. Da ließen meine Anspannung und Erregung plötzlich nach; mir brach der Schweiß aus, und ich begann zu zittern, als mein Gegner floh und ich diese Waffe in der Hand hatte.
    Es dauerte einige Zeit, ehe ich den Entschluß fassen konnte, durch die Bäume und Büsche an der Flanke der Landzunge zum Strand hinunterzugehen. Schließlich lief ich los, und als ich aus dem Dickicht auf den Sand hinausrannte, hörte ich jemand anderen mir krachend nachstürzen.
    Da verlor ich vor Angst vollständig den Kopf und begann den Sand entlangzulaufen. Sofort hörte ich das schnelle Geräusch weicher verfolgender Füße. Ich stieß einen

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