Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. G. Wells
Vom Netzwerk:
und preßte die Hände gegen die Stirn. Der Puma heulte von neuem auf.
    Montgomery trat von hinten an mich heran und legte mir die Hand auf die Schulter. »Hören Sie, Prendick«, sagte er. »Ich hatte nicht vor, Sie allein auf unsere wunderliche Insel hinauswandern zu lassen. Aber es ist nicht so schlimm, wie’s Ihnen scheint, Mann. Die Nerven sind Ihnen durchgegangen. Ich will Ihnen etwas geben, damit Sie schlafen. Das ... das wird noch stundenlang so weitergehen. Sie müssen einfach schlafen, sonst garantiere ich für nichts.«
    Ich antwortete nicht. Ich beugte mich nach vom und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Gleich darauf kam er mit einer dunklen Flüssigkeit zurück. Ich nahm sie ohne Widerstand, und er half mir in die Hängematte.
    Als ich aufwachte, war es heller Tag. Eine Zeitlang blieb ich liegen und starrte auf das Dach über mir. Die Sparren, bemerkte ich, waren aus Schiffsrippen gemacht. Dann drehte ich den Kopf und sah ein Mahl für mich auf dem Tisch bereitstehen. Ich merkte, daß ich hungrig war, und wollte aus der Hängematte herausklettern; sie kam meiner Absicht zuvor, drehte sich um, und ich landete auf allen vieren auf dem Boden.
    Ich stand auf und setzte mich an den Tisch. Ich hatte ein Gefühl der Schwere im Kopf und zunächst nur die unbestimmteste Erinnerung an die Dinge, die am Abend vorher geschehen waren. Die Morgenbrise blies erfrischend durch das Fenster, und das Frühstück vermehrte die Empfindung physischen Behagens. Plötzlich öffnete sich die Tür hinter mir, die innere Tür, die in den ummauerten Hof führte. Ich wandte mich und sah Montgomerys Gesicht. »Alles in Ordnung?« fragte er. »Ich hab’ furchtbar viel zu tun.« Und er schloß die Tür wieder. Später entdeckte ich, daß er sie zu versperren vergessen hatte.
    Dann besann ich mich auf seinen Gesichtsausdruck am Abend vorher, und damit wurde die Erinnerung an alles, was ich erlebt hatte, wieder ganz klar. Gerade als ich wieder Furcht empfand, hörte ich einen Schrei von drinnen. Aber diesmal war es nicht der Schrei eines Pumas.
    Ich legte den Bissen nieder, den ich eben an die Lippen führen wollte, und horchte. Stille - nur die Morgenbrise flüsterte. Ich kam zu dem Schluß, meine Ohren hätten mich getäuscht.
    Nach einer langen Pause begann ich wieder zu essen, war aber immer noch hellhörig. Dann vernahm ich etwas anderes, sehr schwach und leise, dennoch wühlte es mich tiefer auf als alles, was ich bisher von den Greueln hinter der Mauer gehört hatte. Diesmal war ein Irrtum über die dumpfen, gebrochenen Töne nicht möglich, ebensowenig ein Zweifel über ihren Ursprung; denn es war ein Stöhnen, das von Schluchzen und qualvollem Keuchen unterbrochen wurde. Diesmal war es kein Tier. Es war ein menschliches Wesen auf der Folter.
    Und als mir das klar war, stand ich auf, war in drei Schritten an der Tür zum Hof und stieß sie auf.
    »Prendick, Mann! Halt!« rief Montgomery dazwischenspringend. Ein erschreckter Hund bellte auf und knurrte. Ich sah Blut in der Abflußrinne, teils braun, teils scharlachrot, und ich roch den eigentümlichen Geruch der Karbolsäure. Dann sah ich durch eine offene Tür im gedämpften Licht eine unförmige Masse, die mühsam auf ein Gestell gebunden war: vernarbt, rot und bandagiert. Und dann erschien, diesen Anblick verdeckend, das Gesicht des alten Moreau, weiß und furchtbar.
    Im Nu hatte er mich mit einer Hand, die rot besudelt war, an der Schulter gefaßt, herumgedreht und kopfüber in mein Zimmer zurückgeschleudert. Er packte mich, als wäre ich ein kleines Kind. Ich fiel zu Boden, und die Tür schlug zu und verbarg mir sein erregtes und verzerrtes Gesicht. Dann hörte ich, wie der Schlüssel im Schloß gedreht wurde und Montgomery schimpfte.
    »Die Arbeit eines Lebens ruinieren!« hörte ich Moreau sagen.
    »Er versteht nichts davon«, beschwichtigte ihn Montgomery; was er dann sagte, konnte ich nicht hören.
    »Ich habe jetzt keine Zeit«, sagte Moreau.
    Mehr hörte ich nicht. Ich stand auf und zitterte; mein Geist wurde von den furchtbarsten Ahnungen durchzuckt. War es möglich, dachte ich, daß Moreau Menschen vivisezierte? Die Frage traf mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Und plötzlich verdichtete sich das Grauen in meiner Seele zu einer lebhaften Empfindung der Gefahr, in der ich mich befand.

11
    Die Jagd auf den
    Menschen

    Mir fiel ein, daß die äußere Tür meines Zimmers noch offenstand, was meine Hoffnung auf Rettung wider alle Vernunft aufkeimen ließ. Ich

Weitere Kostenlose Bücher