Die Insel des Dr. Moreau
Idiot. Ich versuchte herauszubekommen, was er damit meinte, und anscheinend bereitete ihm das große Pein. Nach noch einer oder zwei Fragen lief er plötzlich von mir weg und sprang nach einer Frucht, die von einem Baume hing. Er riß eine Handvoll stachliger Hülsen herunter und ging essend weiter. Das sah ich mit Befriedigung, denn nun wußte ich, wo Nahrung zu finden war. Ich versuchte es noch mit ein paar anderen Fragen, aber er schnatterte rasche Antworten, die meinen Fragen oft ganz entgegenliefen. Ein paar paßten, andere waren wie von einem Papagei.
Ich beobachtete meinen Begleiter so scharf, daß ich kaum auf den Pfad achtete, dem wir folgten. Plötzlich kamen wir zu Bäumen, die ganz verkohlt und braun waren, und dann in eine öde, kahle Gegend, die mit gelbweißer Inkrustation bedeckt war, über die beißender Rauch trieb. Zu unserer Rechten sah ich über einem nackten Felsrücken die blaue Fläche des Meeres. Der Pfad wand sich plötzlich in eine enge Schlucht, zwischen knotigen Massen schwärzlicher Lava hindurch. Dahinein gingen wir.
Der Gang wirkte nach dem blendenden Sonnenlicht und dem Widerschein vom schwefligen Boden außerordentlich dunkel. Die Wände ragten steil empor, der Pfad wurde immer enger. Grüne und rote Flecken schwammen mir vor Augen. Mein Führer stand plötzlich still. »Zu Hause«, sagte er, und ich stand auf dem Boden eines Schlundes, der mir erst absolut finster erschien. Ich hörte einige seltsame Geräusche und rieb mir mit den Knöcheln der linken Hand die Augen. Ich wurde mir eines üblen Geruchs bewußt, der an einen schlecht gereinigten Affenkäfig erinnerte. Im Hintergrund öffnete sich der Fels wieder auf einen sanften Hang sonnenbeleuchteten Grüns, und zu beiden Seiten drang das Licht durch einen engen Schacht in das Dunkel.
12
Die Sprecher des
Gesetzes
Dann berührte etwas Kaltes meine Hand. Ich fuhr heftig zusammen und sah dicht vor mir ein blaßrosa Wesen, das den Eindruck eines gescholtenen und verschüchterten Kindes machte. Das Geschöpf hatte die milden, aber abstoßenden Züge eines Faultiers, dieselbe niedere Stirn und die langsamen Bewegungen. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich deutlicher. Das kleine faultierartige Geschöpf stand da und starrte mich an. Mein Führer war verschwunden.
Ich befand mich in einem Gang zwischen hohen Lavamauern; auf beiden Seiten bildeten geflochtene Seegrasmatten, Palmenfächer und Rohre, die gegen den Felsen lehnten, rohe und undurchdringlich dunkle, höhlenartige Verschläge. Der Weg, der sich dazwischen die Schlucht hinaufwand, war kaum drei Ellen breit und mit Haufen von faulendem Fruchtmark und anderem Abfall bestreut. Daher stammte also der Gestank.
Das kleine rosige Faultiergeschöpf blinzelte mich noch an, als mein Affenmensch wieder erschien und mir winkte. Unterdessen kroch ein schwerfälliges Ungeheuer aus einer der Höhlen weiter oben in dieser seltsamen Straße, und da stand es nun vor dem hellen Grün im Hintergrund und starrte mich an. Ich zögerte - hatte gute Lust, den Weg, den ich gekommen war, zurückzustürzen -, und dann faßte ich, entschlossen, das Abenteuer zu Ende zu führen, meinen Nagelstock etwa in der Mitte und folgte meinem Führer in das kleine übelriechende Loch.
Es war ein Raum von der Form eines halben Bienenkorbs, und gegen die Felsmauer an der Innenseite war ein Haufen verschiedener Früchte, Kokosnüsse und anderes aufgeschichtet. Einige plumpe Gefäße aus Lava und Holz standen am Boden umher, eins auch auf einem rohgezimmerten Schemel. Feuer gab es keines. Im dunkelsten Winkel der Hütte saß eine unförmige, dunkle Masse, die »He!« grunzte, als ich hereinkam, und mein Affenmensch stand im schwachen Licht der Tür und hielt mir eine gespaltene Kokosnuß hin, als ich in den anderen Winkel kroch und mich hinhockte. Ich nahm sie und begann trotz meiner Angst und der fast unerträglichen Stickigkeit der Höhle so heiter wie möglich daran zu nagen. Das kleine rosige Faultierwesen stand in der Öffnung der Hütte, und ein weiteres Geschöpf mit einem grauen Gesicht und glänzenden Augen starrte ihm über die Schulter.
»He!« tönte es aus dem geheimnisvollen Haufen gegenüber. »Es ist ein Mensch! Es ist ein Mensch!« verkündete mein Führer. »Ein Mensch, ein Mensch, ein lebendiger Mensch wie ich.«
»Hör auf!« sagte die Stimme aus dem Dunkel und grunzte. Ich knabberte in beklemmender Stille an meiner Kokosnuß. Ich spähte scharf in die Dunkelheit,
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