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Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. G. Wells
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Tod leugnete. »Er ist nicht tot«, sagte er langsam. »Absolut nicht tot. Nicht mehr tot als ich.«
    »Einige«, erklärte ich, »haben das Gesetz gebrochen. Sie werden sterben. Einige sind gestorben. Zeigt uns jetzt, wo sein alter Leib liegt. Der Leib, den er wegwarf, weil er ihn nicht mehr nötig hatte.«
    »Hier geht der Weg, Mann, der ins Meer ging«, sagte das graue Wesen.
    Und unter der Führung dieser sechs Geschöpfe marschierten wir durch die Wildnis der Farne und Lianen und Baumstämme nach Nordwesten. Dann ertönte ein Schreien und Krachen unter den Zweigen, und ein kleiner rosiger Homunkulus stürzte kreischend vorbei. Unmittelbar dahinter erschien ein wildes Ungeheuer, blutbespritzt, in jäher Verfolgung begriffen, und es war fast bei uns, ehe es seinen Lauf hemmen konnte. Das graue Wesen sprang zur Seite; M’ling stürzte knurrend auf das Untier los und wurde beiseite geschleudert; Montgomery feuerte, fehlte, senkte den Kopf, warf die Arme hoch und wandte sich zur Flucht. Ich schoß ebenfalls, und die Bestie kam noch ein Stück vorwärts; ich feuerte noch einmal blindlings auf das häßliche Gesicht. Im Feuerstoß sah ich, wie das Leben aus den Zügen schwand. Das Gesicht war eingefallen. Trotzdem stürzte das Tier an mir vorbei, faßte Montgomery, hielt ihn, stürzte mit ihm vornüber und riß ihn zuckend mit sich - im Todeskampf.
    Ich war mit M’ling, der toten Bestie und dem gestürzten Mann allein. Montgomery erhob sich langsam und starrte benebelt auf den zerschmetterten Tiermenschen neben ihm. Bei diesem Anblick wurde er beträchtlich nüchterner. Er rappelte sich auf. Dann sah ich das graue Wesen vorsichtig durch die Bäume zurückkehren.
    »Sieh«, sagte ich und zeigte auf das tote Tier, »ist das Gesetz nicht lebendig? Das kommt vom Bruch des Gesetzes.«
    Das graue Geschöpf blickte auf die Leiche. »Er schickt das Feuer, das tötet«, sagte der Sprecher des Gesetzes mit seiner tiefen Stimme, einen Teil des Rituals wiederholend.
    Die anderen sammelten sich ringsherum und starrten eine Zeitlang auf das tote Ungeheuer.
    Schließlich näherten wir uns dem westlichen Ende der Insel. Wir fanden die benagte und verstümmelte Leiche des Pumas, dessen Schulterblatt von einer Kugel zerschmettert war, und vielleicht zwanzig Meter weiter entdeckten wir endlich, was wir suchten. Moreau lag auf einem niedergetrampelten Rasenfleck mit dem Gesicht nach unten in einem Schilfgebüsch. Eine Hand war fast vom Handgelenk getrennt, das Silberhaar mit Blut bespritzt. Der Kopf war mit den Ketten des Pumas eingeschlagen worden. Das geknickte Schilf unter ihm war mit Blut beschmiert. Seinen Revolver konnten wir nicht finden. Montgomery drehte den Leichnam um.

    Mit der Hilfe von sieben Tiermenschen - denn er war schwer - trugen wir Moreau zur Ummauerung zurück. Von Zeit zu Zeit legten wir eine Rast ein. Die Nacht wurde dunkel. Zweimal hörten wir unsichtbare Geschöpfe heulend und kreischend an unserer kleinen Schar vorbeiziehen, und einmal erschien das kleine, rosige Faultiergeschöpf, starrte uns an und verschwand wieder. Aber wir wurden nicht mehr angegriffen. An den Toren der Ummauerung verließ uns unsere Gesellschaft vom Tiervolk - und M’ling ging mit den anderen. Wir schlossen uns ein und brachten dann Moreaus zerfleischten Leichnam in den Hof, wo wir ihn auf einen Haufen Buschholz legten.
    Dann gingen wir ins Laboratorium und machten allem ein Ende, was wir dort noch lebend vorfanden.

19
    Montgomerys Feiertag

    Als wir damit fertig waren, uns gewaschen und gegessen hatten, gingen Montgomery und ich in mein kleines Zimmer und besprachen zum erstenmal unsere Lage ernsthaft. Es war fast Mitternacht. Montgomery war beinahe nüchtern, aber sehr verstört. Er hatte merkwürdig stark unter dem Einfluß von Moreaus Persönlichkeit gestanden. Ich glaube nicht, daß er je daran gedacht hatte, Moreau könne sterben. Dieses Unheil bewirkte den plötzlichen Zusammenbruch aller Gewohnheiten, die in den zehn oder mehr monotonen Jahren seines Aufenthalts auf der Insel ein Teil seiner Natur geworden waren. Er redete zusammenhangloses Zeug, beantwortete meine Fragen verkehrt und schweifte zu allgemeinen Fragen ab.
    »Diese alberne Welt«, sagte er. »Was für eine Wirrsal das alles ist! Ich habe überhaupt kein Leben gehabt. Ich möchte wissen, wann es endlich anfängt. Sechzehn Jahre von Kindermädchen und Schulmeistern nach Belieben eingeschüchtert, fünf Jahre hab’ ich mich in London mit der Medizin abgeplagt -

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