Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. G. Wells
Vom Netzwerk:
Moreau müsse mittlerweile etwas Ernstes passiert sein, sonst wäre er zurückgekehrt, und es sei an der Zeit festzustellen, was ihm zugestoßen sei. Montgomery erhob einige schwache Einwände und stimmte mir schließlich bei. Wir aßen ein wenig, und dann brachen wir alle drei auf.
    Vielleicht liegt es an dem Zustand der Spannung, in dem ich mich damals befand, aber noch jetzt ist jener Aufbruch in die heiße Stille des tropischen Nachmittags in meinem Gedächtnis merkwürdig lebendig. M’ling ging voran, seine Schultern hatte er hochgezogen, und sein unheimlicher schwarzer Rücken bewegte sich in raschen Zuckungen, wenn er stehenblieb und erst auf die eine und dann auf die andere Seite des Weges starrte. Er war unbewaffnet. Sein Beil hatte er verloren, als er und sein Herr den Schweinemenschen begegnet waren. Wenn es zum Kampf kam, waren die Zähne seine Waffen. Montgomery folgte mit stolpernden Schritten, die Hände in den Taschen, das Gesicht gesenkt; er war betrunken, verdrossen und grollte mir, weil ich ihm den Brandy weggenommen hatte. Mein linker Arm lag in einer Binde - zum Glück mein linker -, und ich trug meinen Revolver in der Rechten.
    Wir folgten einem schmalen Pfad durch das dichte Unterholz und gingen nach Nordwesten. Und plötzlich blieb M’ling stehen; er schien vor Wachsamkeit erstarrt zu sein. Montgomery stolperte fast über ihn und blieb dann auch stehen. Wir hörten Stimmen zwischen den Bäumen und Schritte, die sich näherten.
    »Er ist tot«, sagte eine tiefe vibrierende Stimme.
    »Er ist nicht tot, er ist nicht tot«, schnatterte eine andere.
    »Wir haben’s gesehen, wir haben’s gesehen«, sagten mehrere Stimmen.
    »Hallo!« rief Montgomery plötzlich. »Hallo ihr da!«
    »Zum Henker!« sagte ich und faßte meine Pistole fester.
    Es folgte eine Stille, dann knackte es erst hier, dann dort in dem wirren Gestrüpp, und dann erschien ein halbes Dutzend Gesichter, unheimliche Gesichter, von einem unheimlichen Leuchten erhellt. M’ling gab ein knurrendes, kehliges Geräusch von sich. Ich erkannte den Affenmenschen - ich hatte auch seine Stimme schon erkannt - und zwei von den weißumwickelten, braungesichtigen Geschöpfen, die ich in Montgomerys Boot gesehen hatte. Bei ihnen waren die zwei scheckigen Bestien und das graue, schrecklich krumme Geschöpf, das das Gesetz vorsprach, mit den schweren grauen Augenbrauen und den grauen Locken, die ihm von einem Mittelscheitel aus auf die schräge Stirn niederhingen - ein schweres, gesichtsloses Wesen mit seltsamen roten Augen, das uns aus dem Grün neugierig ansah.
    Eine Zeitlang sprach niemand. Dann schluckte Montgomery: »Wer ... sagte, er sei tot?«
    Der Affenmensch sah das haarige graue Wesen schuldbewußt an. »Er ist tot«, erklärte dieses Ungeheuer. »Sie haben es gesehen.«
    Immerhin wirkten diese Tierwesen nicht bedrohlich. Sie schienen eher von Furcht gelähmt und verwirrt zu sein. »Wo ist er?« fragte Montgomery.
    »Da hinten«, zeigte das graue Ungeheuer.
    »Gibt es noch ein Gesetz?« fragte der Affenmensch. »Soll noch immer dies und das bleiben? Ist er wirklich tot?« »Gibt es noch ein Gesetz?« wiederholte der in Weiß. »Gibt es ein Gesetz, du andrer mit der Peitsche? Er ist tot«, sagte das haarige graue Wesen. Und sie standen alle da und beobachteten uns.
    »Prendick«, sagte Montgomery und richtete die stumpfen Augen auf mich. »Er ist offenbar - tot.«
    Ich war während dieses Gesprächs hinter ihm gestanden. Ich erkannte plötzlich, wie es nun um die Tiermenschen bestellt war. Ich trat plötzlich vor und erhob die Stimme: »Kinder des Gesetzes«, sagte ich, »er ist nicht tot.«
    M’ling wandte seine scharfen Augen auf mich. »Er hat seine Gestalt gewechselt - er hat den Leib gewechselt«, fuhr ich fort. »Eine Zeitlang werdet ihr ihn nicht sehen. Er ist ... dort« - ich zeigte nach oben - »wo er euch beobachten kann. Ihr könnt ihn nicht sehen. Aber er kann euch sehen. Fürchtet das Gesetz.«
    Ich blickte sie offen an. Sie wichen zurück. »Er ist groß, er ist gut«, sagte der Affenmensch und blickte furchtsam zwischen den dichten Bäumen nach oben.
    »Und das andere Ding?« fragte ich.
    »Das Ding, das blutete und schreiend und schluchzend lief - das ist auch tot«, sagte das graue Wesen und sah mich an.
    »Das ist gut«, grunzte Montgomery.
    »Der andere mit der Peitsche«, begann das graue Wesen.
    »Nun?« fragte ich.
    »Sagte, er ist tot.«
    Aber Montgomery war noch nüchtern genug, um zu verstehen, warum ich Moreaus

Weitere Kostenlose Bücher