Die Insel des Magiers
inneren Auge, diesmal jedoch lag keinerlei Furcht in ihrer Raserei, nur die pure Bosheit.
Die Gedanken an Gnade, die ich gehabt hatte, kamen mir auf einmal schwächlich vor. Ich legte den Rücken an den Baumstamm und fühlte Kraft in mich einströmen, zornige Kraft, als ob die Vitalität der alten Fichte durch die Borke direkt in mein Blut überging. Ich hatte fast den Eindruck, der uralte Baum bestärke mich in meiner Härte und helfe mir, meine lachhafte Schwäche von vorher zu überwinden.
Bald darauf sprang ich auf und stieg wieder über die Wiese zur Dornenhecke hinauf. Ich eilte zu meiner Falle zurück.
Es dauerte nicht lange, bis ich am Hang einen Felsbrocken gefunden hatte, den ich mit ein wenig Graben aus der feuchten Umklammerung der Erde lösen konnte. Während ich ihn zur Grube hinunterwälzte und dabei mit Stöcken lenkte, damit er auch in die gewünschte Richtung rollte, verspürte ich eine fast übernatürliche Sicherheit und Stärke. Die Bache fing wieder zu quieken an, als sie mich kommen hörte, wilde, schreckliche Töne, bei denen ich mir am liebsten die Ohren verstopft hätte. Statt dessen jedoch lehnte ich mich mit der Schulter gegen den liegengebliebenen Stein und schob mit aller Kraft. Erst rutschten mir die Füße weg, doch schließlich fanden sie Halt. Der Felsbrocken wankte, dann brach die Kante ein, und er fiel.
Es gab einen scheußlichen weichen Aufschlag, gefolgt von längerem blubbernden Geröchel und endlich Stille.
Später holte ich mir etwas von dem Blut und kehrte damit in das Tal zurück, wo ich es an den Stamm der alten Fichte schmierte. Dann kehrte ich zur Hütte zurück, im Innern anstelle der Siegesgefühle nur noch eine erschöpfte Leere, und fiel in einen langen, schwarzen, traumlosen Schlaf.
Aha. Das mit der alten Bache hast du nicht gewußt, stimmt’s, Miranda? Davon habe ich dir nie erzählt. Ich denke, daß ich mich schämte. Aber heute nacht – ach, in welcher Nacht ist es, daß eure Leute Masken tragen und sie irgendwann absetzen? In der Mittsommernacht? Heute nacht werden die versteckten Gesichter zum Vorschein kommen.
Menschliche Gesichter können ebenfalls Masken sein, auch wenn ich davon in meinen jungen Jahren zunächst keine Ahnung hatte. Daß man seine Gedanken hinter einer verschlossenen Miene verbergen kann, war etwas, das ich von Prospero lernte, der nach außen hin so gut wie nichts durchblicken ließ. Noch schwerer ging mir die Vorstellung ein, jemand anderem eine Maske übers Gesicht zu decken – in ihm nur das zu sehen, was man sehen will.
Ich frage mich, was dein erster Gedanke war, als du mich am Tag eurer Ankunft von den Felsen herunterschauen sahst. Ich meinerseits hatte vor allem Augen für deinen schaurigen, faszinierenden Vater, von dem, wie mir mein wachgerüttelter Instinkt sagte, bei weitem die größere Gefahr ausging – obwohl ich heute nicht mehr so sicher bin, daß das stimmte. Du warst nur sein Anhängsel… damals. Erst später sollte ich begreifen, was dein Name bedeutet.
Was aber sahst du dort vor dir auf dem Felsen kauern? Ein verschrecktes braunes Etwas, das mit seinen gelben Augen gebannt hinabstarrte wie ein kleiner Vogel im Nest? Einen haarlosen Affen, gelenkig und mit langen Armen? Oder eine schlecht gefertigte Puppe, wie aus Lehm einem Spielzeug aus deiner verlorenen Kindheit kunstlos nachgebildet? Was war dein erster Gedanke bei meinem Anblick, traurige Miranda? Daß alle deine Spielzeuge jetzt so sein würden wie das da, schlecht und unbefriedigend?
Ich weiß, was dein Vater dachte, als er mich sah, denn als ich von dem Felsen herunterhastete, um vor seinen furchteinflößenden Augen Schutz zu suchen, sagte er es mir – oder vielmehr, er sagte es dir. Zwar konnte ich seine Worte zu dem Zeitpunkt nicht verstehen, aber später, als ich eure Sprache verstand, rief er sie mir in Erinnerung. An jenem Tage hörte ich nur wenige Augenblicke zu, bevor mich das Grauen packte und ich die Flucht ergriff.
Schau, Miranda, sagte er. Seine Stimme war so kalt beobachtend, als ob er mich tot und verwest im Sand liegend gefunden hätte. Diese scheinbar verlassene Insel scheint doch wenigstens ein paar größere Bewohner zu haben. Ein Menschenaffe, denke ich – nein, vielleicht etwas geringfügig Interessanteres. Ein sogenannter »Naturmensch«, ein Wilder. Ein Kannibale.
Und im Weglaufen, Miranda, hörte ich noch deine kleine, verdutzte Stimme.
Kaliban…?
Am Tag, als ihr kamt, fürchtete ich mich, und das war mir
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