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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hatten dich geliebt. Ich aber hatte nur diese verrückte Alte, und als sie mir von einer Fischgräte genommen wurde, hatte ich weniger als nichts, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß es noch andere Wesen geben sollte, die mir auch nur entfernt ähnlich waren. Die Insel war meine Welt, und wie kein Mensch außer mir nahm ich an, daß die Welt keinerlei menschliche Gesellschaft für mich bereithielt.
    Wie um deinem Vater mit seiner Behauptung recht zu geben, ich sei nur ein Tier, überlebte ich. Trotz der furchtbaren inneren Leere, der sprachlosen Trauer, des Wahnsinns, in den mich die Einsamkeit stürzte, blieb ich am Leben. Ich weiß nicht, warum. Alles hält zäh am Leben fest, Miranda. Du weißt, wie wild ein Fisch auf einem Stein zappelt: Das Wasser ist unerreichbar weit weg, und trotzdem windet er sich und schlägt um sich, um Rettung zu finden. Der Lebensfunke in uns ist nicht auszulöschen. Ja, das ist ein größeres Wunder als all die anderen, die dein Gott angeblich gewirkt hat: daß etwas in uns lebt und daß das Leben gegen die Unausweichlichkeit des Todes ankämpft.
    Genau wie meine Mutter bis zuletzt vergebens versucht hatte, die Gräte wieder herauszuwürgen, so rang auch ich darum, unter den Lebenden zu bleiben. Wenn mir die Segnungen der Zivilisation zuteil geworden wären, hätte ich vielleicht den Gedanken gefaßt, daß ich mit dem eigenen Tod meine Mutter wiederfinden könnte und daß dann meine Einsamkeit ein Ende hätte. Aber tatsächlich begriff ich nicht, daß das, was ihr zugestoßen war, mir genauso zustoßen konnte. Wie hätte die Welt ein Ende haben können? In der Not, zum Beispiel als mich die Bache angriff, fürchtete ich mich davor, eine schmerzhafte Verletzung zu erleiden, irgendwie von meiner Mutter und der mir bekannten Umgebung getrennt zu werden, doch der Gedanke eines letzten Endes kam mir nicht, konnte mir nicht kommen, und schon gar nicht der eines Endes, das ich selbst herbeiführen konnte.
    Und selbst wenn mir eine solche Idee gekommen wäre, glaube ich kaum, daß ich sie hätte ausführen können. Wie gesagt, Miranda, der Lebensfunke, diese Monade, dieser göttliche Hauch oder wie du es sonst nennen willst, ist nicht auszulöschen. Er besteht selbst im Angesicht unbeschreiblicher Schrecken hartnäckig weiter, und der lebende Beweis dafür bin ich. Ist wohl je ein Lebewesen so grausam verlassen worden wie ich? Und nicht nur einmal, sondern zweimal?
     
     
    In den Augen deines Vaters war ich kaum mehr als ein Tier, und wie ein Tier lockte er mich an, mit Speisen und sanften Worten. Es dauerte nicht lange, bis er meine Hütte gefunden hatte, und dort errichtete er euer erstes Lager. Selbst damals in meiner Unwissenheit spürte ich, daß ein Wesen, das so rücksichtslos das Gebiet eines anderen besetzt, Gefahr bedeutet, aber die Absicht, die er damit verfolgte, verstehe ich bis heute noch nicht. Sah er denn nicht, er, der selbst von einem Usurpator aus Mailand vertrieben worden war, daß er genau dasselbe tat? Oder waren seine Reden von Gerechtigkeit von Anfang an falsch? Vielleicht war ihm schon an jenem ersten Tage klar, daß er mich fangen und zähmen und dann zu seinen Zwecken benutzen würde. Auf jeden Fall war die Hütte meiner Mutter nur das erste von vielen Dingen, die er Kaliban raubte.
    Ich hätte weglaufen sollen! Ich hätte auf die andere Seite der Insel oder in die Berge fliehen sollen. Weder du noch dein Vater hättet mir mit euern vom Stadtleben erschlafften Muskeln dorthin folgen können. Ich hätte lange frei bleiben können, vielleicht für immer. Aber ich war einsam, Miranda. Seit dem Tode meiner Mutter hatte zweimal der Schnee die hohen Gipfel bestäubt und waren die Tage auf ihre kürzeste Dauer geschrumpft. Zwei Jahre Alleinsein lagen hinter mir, als euer Boot auf meiner Insel landete. Ich war einsam.
    Deshalb konnte er mich locken. Er legte Süßigkeiten auf einem großen Blatt in den Schatten am Waldrand, damit ich sie nehmen konnte, ohne allzu nahe herankommen zu müssen. Der Versuch mißlang ihm, denn dieses Naschwerk aus Honig, Nüssen und Gewürzen, liebevoll für dich eingepackt von irgendeiner schluchzenden Köchin, einer Haussklavin, der der Gehorsam im Blut lag, diese zivilisierten Schleckereien, die so weit übers Meer gekommen waren, rochen für mich nicht im geringsten wie etwas Eßbares. Meine Nase empfand sie als aufdringlich und fremd, so unappetitlich wie in starkes Parfüm getauchte Steine für die deine wären. Ich nahm sie nicht,

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