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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Strandes zu schleifen und dann zuzusehen, wie sie hastig zu den Felsen am Wasser zurückkrabbelten, in denen sich ihre geräumigen Gezeitenbecken befanden. Wir hatten sogar unsere Favoriten: Wir ließen sie um die Wette laufen und stolperten lachend daneben her, während sie sich im Seitlauf in Sicherheit zu bringen suchten. Als wir ins Lager zurückkamen, hatte Prospero das Feuer angezündet, und er gab mir ein großes Stück Kaninchenbraten zu essen. Müde, glücklich, übermannt von den Ereignissen des Tages nickte ich neben dir ein.
    Als ich erwachte, war es Morgen. Das kurze tierische Erschrecken über meine Schutzlosigkeit verging rasch. Niemand hatte mir etwas getan oder schien die Absicht zu haben. Prospero war in den Wald gegangen, Pilze sammeln. Du planschtest in der Brandung, und als du sahst, daß ich wach war, riefst du lachend zu mir herüber. Mein neuer Name in deinem Mund und ich selbst in deinen Augen gespiegelt. Ein Glück so strahlend und ungebrochen wie die Kuppel des Himmels über uns.
    Ich bebte förmlich vor Erregung, aufgenommen zu sein, und vor Erleichterung darüber, daß ich die Wachsamkeit eines guten halben Jahres endlich schleifen lassen konnte, und später am Tag kletterte ich den Berg zur Dornenhecke und meinem geheimen Tal hinauf. In meinen zwei Jahren als Waise, bis Prosperos Boot am Strand landete, war der Baum mit den sonderbaren Gefühlen, die er mir einflößte, der Ort gewesen, wo ich mich noch am ehesten in Gesellschaft gefühlt hatte. Jetzt wollte ich ihn an meinem Glück teilhaben lassen. In gewisser Weise wollte ich dem Baum auch mitteilen, daß ich nunmehr Verbündete hatte, denn meine Empfindungen gegenüber der alten Fichte waren immer ein wenig mit Rivalität und Mißtrauen vermischt gewesen, und ich hatte es niemals fertiggebracht, mich gegen ihre Aura der Macht zu verschließen.
    So eilte ich an jenem Tage den schmalen Pfad entlang, den ich neben dem Bach getreten hatte. Im Tal war niemand außer mir und einem einzelnen langohrigen roten Eichhörnchen, das hoch oben in den Zweigen der Fichte hing; ich sah seine Augen kurz in einem Sonnenstrahl funkeln. Ich stellte mich in den Umkreis der Baumwurzeln und schrie: Prospero! Miranda! Dann legte ich nahezu schwindlig vor Stolz die Hand auf meine Brust und rief: Kaliban!
    Der magische Baum schien mir an dem Tag eigenartig stumm zu bleiben, so als lauschte er bloß meinen neu gelernten Worten und grübelte nach. Mir war es gleichgültig. Ich lebte. Ich hatte einen Namen! Und jetzt hatte ich auch eine Familie.
     
     
    Prospero. Der Gedeihliche. So sehr dein Name zutraf, Miranda, so wenig tat es seiner, auch wenn es zuerst den Anschein machte. Ja, in diesen ersten Jahren nahm ich an, daß er gekommen war, um mich zu erziehen, um mir das Glück zu geben, das meine Mutter mir nicht hatte schenken können.
    Welches Spiel trieb er? Selbst heute bin ich mir nicht darüber im klaren. Sein kalter Schatten liegt schon längere Jahre über mir, als ich mir einzugestehen wage – aber was war er? Was für Absichten hatte er mit mir?
    Am Anfang, als er auf der Insel ankam, kann er eigentlich nur höchst blasse Gedanken an Flucht und Rache gehabt haben. Er war eine starke Natur, aber seine Stärke kam überwiegend vom Bücherwissen, sonst hätte sein Bruder ihn niemals ausstechen können. Seine Zauberkunst bestand in den Listen und Schlichen eines Gauklers, in Kunststücken, mit denen man Kinder unterhielt oder sich auf dem Markt ein paar Scheidemünzen verdiente. Ohne meine unwissentliche Hilfe hätte er niemals die Macht entdeckt, die es ihm ermöglichte, sich den Thron zurückzuholen.
    Was also hatte er mit mir vor? Dachte er überhaupt an die Zukunft? Für einen Mann von großer Geduld und Bildung tat er oftmals ziemlich unsinnige Dinge. Als sich im Laufe der Jahre die Wolke meiner Unwissenheit ein wenig verzog und ich seine gelegentliche Kleinmütigkeit und Mißgelauntheit deutlicher sehen lernte, wurde mir klar, daß er fast ebenso stimmungsabhängig war wie seine zwei jungen Schutzbefohlenen. Kann meine ganze Erziehung, die Tatsache, daß er mich unterrichtete und formte und an der Seite seiner Tochter aufwachsen ließ, kann das alles nur die Folge einer flüchtigen Kaprice gewesen sein?
    Die Vorstellung ist zu entsetzlich. Lieber möchte ich glauben, daß ich das Opfer eines von langer Hand geplanten Komplotts war. Lieber ein Feind sein als ein unglücklicher Zufall.
    Ich beobachtete ihn stundenlang, Miranda, wie er am Feuer saß

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