Die Insel des Magiers
deinen Füßen lag.
Ich kann nicht sagen, daß du schön warst. Ich bin sicher, du warst es, aber ich hatte keinen Vergleich. Ich erinnere mich nur daran, daß ich dich beinahe so befremdlich fand wie deinen Vater, allerdings viel weniger furchteinflößend. Er war ein Sturm auf See. Du warst auf den Wellen funkelnder Sonnenschein.
Schon damals waren deine Haare lang. Sie hingen dir bis übers Gesäß herab, wenn du dastandest und einen ungewöhnlich geformten Käfer betrachtetest, und flogen hinter dir her, wenn du ranntest. Ich kann hier im Kerzenschein ihre Farbe nicht genau erkennen, aber wo sie über dein Kissen fließen, kommt mir der Ton gleich vor, ein leuchtendes, kupfern schimmerndes Braun. Meine Mutter war dunkel. Ich war dunkel – schau, selbst die Haare auf meinen Armen sind schwarz wie der Panzer eines Käfers. Das Schwarz deines Vaters war mit mattem Grau und Weiß durchsetzt. Aber deine Haare waren herbstlich, brannten wie Feuer mit der Farbe der Hoffnung. Ich wußte nicht, was ich von dir halten sollte.
Du hattest immer schon einen ernsten Blick, Miranda. Wenn ich mich in die Nähe des Lagers stahl, beobachtetest du mich aufmerksam, als ob ich etwas sehr Wichtiges wäre. Wundert es dich da, daß ich mich in dich verliebte? Und im nächsten Moment kniffst du deine Augen fest zu, und laut jauchzendes Lachen brach aus dir heraus. Später bekam ich heraus, wie ich dich dazu bringen konnte. Oh, das war ein herrlicher Tag, als ich dich zum erstenmal vorsätzlich zum Lachen brachte!
Und wie sah ich aus? Heute bin ich ein Ungeheuer, zum Teil vielleicht weil der Haß, der in mir brennt, mich wie Kerzenwachs geschmolzen hat. Als ich mich bei Tag durch Mailand bewegte, gingen mir die meisten aus dem Weg, und die anderen gafften mich an und flüsterten untereinander. Doch in jenen langverflossenen Tagen, bevor mich die schlechte Behandlung durch deinen Vater und dein Verrat verbittert hatten, welches Äußere hatte ich da?
Prospero erzählte mir, Sycorax habe mich von einem Dämon empfangen. Vielleicht hatte er recht – er bemerkte es so beiläufig, als stellte er fest, es werde einen wolkigen Tag geben. Das gehörte mit zu seiner Geschichte von der Verbannung meiner Mutter, und bis heute weiß ich nicht, wer mein Vater wirklich war. Ich habe ihn nie in den Träumen meiner Mutter erblickt, oder wenigstens sah ich keinen Zeugungsakt, der mir sein Gesicht aus der übrigen Masse widriger Gespenster herausgehoben hätte. Aber wer oder was er auch für meine Mutter gewesen sein mag, er war kein schmucker junger Freier. Als ich das erste Mal diesen Ferdinand zu Gesicht bekam, dessen Name mir heute noch im Mund brennt, wenn ich ihn ausspreche, war deutlich, daß er und die anderen Schiffbrüchigen etwas mit dir gemein hatten, das mich nicht auszeichnete. Hochgewachsen, sie waren alle hochgewachsen, selbst die alten, gebeugten. Keiner hatte meine langen Arme, meine niedrige Stirn. Keiner hatte Augen wie ich. Ich habe nie jemanden mit Augen wie meinen gesehen.
Dein Vater rief mich »Kanibal«, von Kannibale, aber er nannte mich auch »Affe« und »Teufelsbrut«, wenn er schlechte Laune hatte. »Kleiner Wilder«, wenn er freundlicher gestimmt war. Aber niemals »Sohn«. Niemand hat mich je so genannt.
Und du konntest dich nie ganz entscheiden, ob ich »Kaniban« oder »Kalibai« heißen sollte, bis endlich mein jetziger Name durch die Macht der Gewohnheit und die amüsierte Billigung deines Vaters an mir haften blieb.
Aber wie sah ich aus? Erkanntest du mein Herz, Miranda, das in mir brennende Etwas, das nicht wußte, daß es einem Vieh gehörte? Nein, sag nichts! Du bist nicht mehr das Kind von damals. Die Zeit und die Worte haben auch dich verdorben. Dir ist nicht mehr zu trauen.
Atemholen, innehalten, nachdenken. Für solch eine lange erwartete Nacht fliegen die Stunden rasch dahin. Es gibt soviel zu erzählen!
Elterliche Liebe ist ein seltsames, starkes Ding. Sie macht mich immer noch konfus, und damals tappte ich noch mehr im Dunkeln. Je mehr Prosperos Aufmerksamkeit mir den Kopf verdrehte, um so mehr sehnte ich mich nach der schlichteren Zuwendung meiner Mutter zurück. Ja, sie hatte mich in verwirrendem Wechsel geschlagen und sich an mich geklammert, aber die Zeiten, als ich klein war und sie mich in den Armen hielt, waren die einzigen Erfahrungen echten Friedens, an die ich mich erinnern kann. Wenn draußen vor unserer Hütte der Sturm furchterregend laut heulte, krabbelte ich im Finstern zu ihr und
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