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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Fleck an deinem Mund losreißen konnte. Ich hatte plötzlich Angst, obwohl ich nicht wußte, warum. Als ich mir in die Hand spuckte und dir den Fleck wegwischen wollte, lachtest du und schobst meine Hand weg, bis ich aufgab.
    Doch selbst in meiner ersten überschwenglichen Begeisterung brachte ich dich nicht an den Ort, wo die Bache begraben lag. Der Schatten hatte zwar in meiner Erinnerung etwas von seiner Düsterkeit verloren, doch ich war immer noch nicht stolz auf das, was dort geschehen war. Auch das Tal zeigte ich dir nicht. Noch nicht. Doch das hatte andere Gründe: Ich wartete auf einen günstigen Zeitpunkt. In gewisser Weise fühlte ich, daß es mein einziger Besitz und daher mein größtes Geschenk war. Ich wollte es aufheben, bis ich wußte, daß der richtige Augenblick gekommen war.
    Ich verzog mich manchmal in das dornenumfriedete Tal, um vor der schweigenden Fichte meine stockende Redekunst zu üben. Das Eichhörnchen war häufig dort, und ich fand, daß es auch einen Namen haben sollte. Ich wollte, nein, ich konnte deinen Vater nicht dort hinbringen – wie vor meiner Mutter brauchte ich auch vor ihm ein Geheimnis, das allein mir gehörte. Aber in der Nähe unseres Lagers sprangen oft Eichhörnchen in den Bäumen herum, und eines Tages zupfte ich Prospero am Ärmel und deutete auf eines, das ein kleines Stück entfernt in der Erde scharrte.
    Was? Das… was?
    Er lächelte säuerlich. Mehr als einmal hatten die Eichhörnchen hinter seinem Rücken irgend etwas kaputtgemacht, was er zu irgendeinem Zweck sorgfältig hergerichtet hatte.
    Eine Plage und eine Geißel der Menschheit, sagte er. Nenn es »Schädling«!
    Ich war natürlich noch nicht fähig, Späße zu verstehen, und so rief ich das Eichhörnchen in der uralten Fichte von da an »Schädling«. Stundenlang plapperte ich ihm – und mehr noch dem Baum – etwas vor. Ich kannte nur wenige Worte, doch mit jedem Tag lernte ich mehr, und ich brannte darauf, meinen Triumph mit irgend jemand zu teilen. Du sprachst fast so geschliffen wie dein Vater. Meine Mutter war tot. So war der Baum mein Zuhörer und in gewisser Weise mein Beichtvater. Das Tal war immer noch mein und mein allein, auch wenn ich zusehends spürte, ohne es zu verstehen, daß mir sonst nichts mehr auf der Insel gehörte. Doch ich war erfüllt vom Gefühl meiner Wichtigkeit und machte mir keine Sorgen. Ein geheimer Ort war genug.
    Gegen Ende meines ersten Jahres in Prosperos Lager bauten Wespen ein Nest in den Zweigen des alten Baumes.
    Ich nehme an, daß meine Mutter mich Schwimmen lehrte, aber ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der ich nicht hätte schwimmen können. Dein Vater hätte das als weiteren Beweis für meinen tierischen Stand angeführt, da die Tiere des Feldes keiner Anleitung im Wasser bedürfen, die Menschen aber wohl. Auf jeden Fall konntest du nicht schwimmen, und so nahm ich mir vor, es dir beizubringen. Dein Vater sah ein, daß dies an einem gänzlich vom Meer umschlossenen Ort eine kluge Sache war, und hatte nichts dagegen.
    Ich nahm dich mit in eine Lagune, die etwa fünfhundert Schritte sonnenwärts von unserem Lager hinter dem Strand lag. Prospero begleitete uns, ob aus Mißtrauen gegen mich oder gegen einen gefährlicheren Inselbewohner kann ich nicht sagen, hielt aber Abstand, während wir ins Wasser hinausliefen, bis es uns fast bis zum Nabel reichte. Dein Vater betrachtete prüfend die Bäume, die rings um die Lagune standen; einmal sah ich ihn einen langen Rindenstreifen von einem Stamm abschälen und an der Wunde riechen. Ich konnte ihn sowenig aus den Augen lassen, wie ich dich vergessen konnte, aber er stellte für mich etwas ganz anderes dar als du: Er war ein aufrechter schwarzer Finger am Rand meines Gesichtsfeldes, der warnend auf mich gerichtet zu sein schien.
    Du Kopf in Wasser, sagte ich und tauchte unter, um es dir vorzumachen. Als ich wieder hochkam, die schwarzen Haare wie einen Vorhang vor den Augen, blicktest du zweifelnd.
    Aber es ist ganz salzig.
    Ich deutete auf meine zusammengepreßten Lippen und tunkte abermals den Kopf unter Wasser. Ich ließ den Mund zu, aber öffnete kurz die Augen und sah, wie sich um deine Beine Algen ringelten, die in dem gebrochenen Unterwasserlicht graugrün schimmerten.
    Jetzt du, sagte ich, als ich wieder oben war.
    Du schütteltest den Kopf und kautest auf deiner Unterlippe.
    Je weiter der Nachmittag fortschritt, um so mehr gabst du dein Widerstreben auf und fingst du an, Spaß an der Sache zu gewinnen.

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