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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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erheben, obwohl ich so gebannt war, daß ich nicht einmal dann geflohen wäre, wenn er auf mich zugesprungen wäre. Er hielt sie sich dicht an den Mund, hauchte sie nacheinander an und sagte dazu ihre Namen.
    Arlecchino, sagte er. Und: Columbina.
    Bei diesen Worten begann erst die blauköpfige Figur, dann die goldene in seinen Händen zu zucken.
    Ich muß einen Schreckenslaut von mir gegeben haben, denn er schmunzelte in seinen Bart, wandte sich mir aber immer noch nicht zu. Vergiß nicht, ich war nicht zivilisiert: Für mich war dieses Kunststück nicht magischer, als einen versteckten Fisch aus einem tiefen Becken zu fangen oder ein Blatt zu pflücken, das der Suppe einen guten Geschmack verlieh. Doch anders als solche nützlichen Dinge, die ich beide meine Mutter hatte tun sehen, war dies jetzt neu für mich. Und obgleich ich nicht verstand, daß es Magie war, daß er für dieses harmlose Schauspiel zu Hause in Mailand bei der Kirche angeschwärzt und öffentlich verbrannt worden wäre, war ich dennoch entzückt.
    Tanze, Arlecchino, sagte er. Worte und Namen bedeuteten mir zu dem Zeitpunkt noch nichts, aber ich sah ihn diesen Zauber noch zu anderen Gelegenheiten wirken – und einmal eine ähnliche, aber doch bedrückend andere Version.
    Arlecchino, der gesichtslose Lehmmann, verneigte sich und begann zu tanzen. Anfangs langsam und vorsichtig, als wüßte er selbst nicht, ob seine eiskalten Beine ihn tragen konnten oder ob seine Holzknöchelchen nicht brechen würden, machte der kleine Harlekin die ersten Schritte.
    Tanze, Columbina, flüsterte dein Vater, und die goldköpfige Figur tat es ihrem Gefährten nach.
    Daraufhin stand Prospero gemächlich auf, doch anstatt sich mir zu nähern, machte er auf dem Absatz kehrt und ging die Böschung hinunter zum Strand. Das Rauschen des Meeres klang mir in den Ohren, und einen Augenblick lang vergaß ich die zwei Püppchen und starrte ihm hinterher. Er schaute sich nicht um. Er erschien mir übermenschlich groß.
    Arlecchino und seine Columbina drehten sich und schlugen Kapriolen. Ich schlich näher und beugte mich herab, bis mein Gesicht auf ihrer Höhe war, aber sie hatten weniger Angst vor mir als ich vor ihnen. Ihre pappigen, fingerlosen Hände fanden sich, und sie wirbelten umeinander. Arlecchino hob Columbina hoch, warf sie in die Luft und fing sie wieder auf, wobei er allerdings kurz ins Stolpern geriet und ein Stückchen Lehm von einem seiner Beine abbröckelte. Eine Zeitlang tanzten sie so, dann wurden sie nach und nach langsamer. Schließlich legten sie sich einträchtig nebeneinander hin und bewegten sich nicht mehr.
    Mir lief eine Träne über die Backe. Ich rutschte näher und nahm behutsam die kleine Puppe mit dem goldenen Kopf in die Hand. Ihr Lehm fühlte sich kühl an, doch von der Kraft, die sie vorher beseelt hatte, war keinerlei Zeichen wahrzunehmen. Arlecchino war ähnlich leblos. Ehrfürchtig, besorgt legte ich die beiden wieder hin. Hatte ich sie mit irgend etwas getötet? Aber ich hatte nichts getan als zugeschaut. Sollte ich sie in der Erde begraben, obwohl sie ohnehin schon aus Erde gemacht waren? Es war alles zuviel für mich. Ich zog mich in den Wald zurück und wanderte einige Zeit umher, um meine in alle Richtungen ausbrechenden Gedanken zu sammeln.
     
     
    Es dauerte nicht lange, bis ich Essen aus Prosperos Hand nahm. Gewiß, ich riß es ihm weg, wich sofort zurück und fauchte ihn dabei an zur Warnung, daß er sich auf mein Entgegenkommen ja nichts einbilden sollte… doch ich war sein. Er besaß mich so sicher, wie nur je ein Mann seinen Hund oder sein Pferd besessen hat. Wie du kichertest, Miranda, als du mich so knurren sahst. Da du die Listen deines Vaters gewohnt warst, hieltest du mich wohl bloß für eines von seinen vielen Kunststücken. Wie nett von ihm, dir eine solche vergnügliche Abwechslung zu bereiten, ein kleines Wesen, das halb Mensch, halb Tier war und beides nicht genug.
    Wenn der bannende Blick deines Vaters mich nicht vollkommen blendete, konnte ich dich auch wahrnehmen, Miranda. Du warst eine der Lockungen, deretwegen ich näher kam. Zunächst einmal warst du so groß wie ich, eher noch etwas kleiner. Und wo ich wie ein scheues Wild mit gesträubten Haaren vorbeischlich, gingst du kühn deines Weges. Dein Selbstvertrauen verblüffte mich. Hattest du Macht über Schlangen, fragte ich mich, da du ihre Bisse nicht zu fürchten schienst? Ich sah nur, daß du dich vollkommen frei bewegtest und kaum darauf achtetest, was vor

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