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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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und mit einer Geste seiner Finger aus den Flammen winzige Gestalten bildete. Doch während ich ihn anstarrte, starrte er seinerseits mit blicklosen Augen ins Feuer und schweiften seine Gedanken an ferne Orte, von denen ich nicht den geringsten Begriff hatte. Das flackernde Licht ließ seine scharf geschnittenen Züge beinahe unmenschlich erscheinen, aber auf eine Weise, daß sich Schauder in mir mit rückhaltloser Ergebenheit verband. Wenn er dann irgendwann aufschaute und meinen Blick auffing, sah er mich manchmal mit den Anflug eines Lächelns an. In solchen Momenten wäre ich am liebsten über den Sand gekrochen und hätte mich ihm zu Füßen gelegt. Daß ich von diesem dunklen Engel unendlichen Tiefsinns auserkoren worden war, verlieh mir eine besondere Bedeutung, wie ich sie seit dem gräßlichen Tod meiner Mutter nicht mehr empfunden hatte. Es muß doch irgend etwas Gutes an mir sein, dachte ich, sonst würde so ein ungemein kluger Mann sich niemals derart um mich bemühen.
    Auf die gleiche Weise, stelle ich mir vor, überzeugen sich deine Leute davon, daß sie mehr sind als nur auf zwei Beinen herumlaufende Krabbeltiere. Schau dir diese Welt an, sagen sie sich, schau dir ihre Schönheit und Mannigfaltigkeit an! Ein Gott, der so etwas erschaffen konnte und der mich erschaffen hat, damit ich es genieße, muß mich auf jeden Fall sehr lieben.
    Ich wünsche ihnen, daß ihr Schöpfer sich am Ende großzügiger zeigt als mein Prospero, denn seine Gaben waren nur scheinbar Wohltaten.
    Während so auf unserer Insel die Jahreszeiten einander ablösten, strebte ich danach, mich der Bemühungen deines Vaters würdig zu erweisen. So gierig, wie ich vorher die Fische genommen hatte, schnappte ich nach den Bildungsbrocken, die er mir hinwarf. Stundenlang sagte ich mir die Namen der Dinge um mich herum vor, ohne dabei zu merken, daß sich mir nur deswegen eine neue Welt auftat, weil mir vor lauter Namen, vor lauter Worten meine eigene Welt immer mehr entschwand. Zu der Zeit trauerte ich ihr nicht nach – verglichen mit den verlockenden Herrlichkeiten der Zivilisation erschien mir ihre Unschuld öde und langweilig. Heute jedoch trauere ich sehr um sie. Und das einzige wirkliche Geschenk, das dein Vater mir mit seiner Sprache gemacht hat, ist, daß ich einem anderen Menschen die Klage um meine Welt vortragen kann. Und wen fordere ich nun auf, Anteil an meinem Verlust zu nehmen? Dich! Dich, die du bei ihrer Vernichtung mitgewirkt hast. Saß je ein Wesen hoffnungsloser in der Falle als ich?
    Dennoch hatte es anfangs den Anschein, als verlöre ich gar nichts, sondern erhielte nur Geschenke im Übermaß. Selbst meine schöne wortlose Welt war wie neugewonnen, denn jetzt konnte ich dich, kleine Miranda, bei der Hand nehmen und sie dir zeigen.
    Wir kletterten auf die Palmen hinterm Strand, kletterten so hoch, daß wir auf die Vögel hinabschauen konnten, die am Meeresrand durch die Lüfte segelten. Ich zeigte dir, wie man die Palmnüsse aufschlägt und ihren Saft trinkt. Wir glucksten vor Lachen, wenn er uns klebrig vom Kinn troff, dann warfen wir die Schalen so weit, wie wir konnten, und die Möwen wichen mit empörten Schreien aus.
    Hand in Hand wateten wir durch das flache Wasser und stupsten die fremdartigen Meerespflanzen an, um zu sehen, wie sie sich zusammenzogen, als fürchteten sie sich. Ich hob einen Seestern heraus, dessen Arme so dünn wie Würmer waren, und legte ihn dir in die Hand. Als deine Augen weit wurden, weitete sich auch mein Herz und schwoll mir in der Brust.
    Ich lehrte dich die Kunde meiner Insel, auch wenn ich zunächst ein stummer Lehrer war. Ich zeigte dir, wie man aus hohem Strandgras einen Unterschlupf baut und wo man in der richtigen Jahreszeit nach Schildkröteneiern gräbt. Ich nahm dich mit in den düsteren Wald und rief mit einem durchdringenden Schrei die Affen herbei, und diese kamen wie eine Horde fahrender Komödianten in buntem Durcheinander an und schimpften uns aus, bewarfen uns mit Zweigen und Blättern und verzogen sich dann wieder geschwind. Ich wies dich auf die Felsen hin, wo die Schlangen sich sonnten, und zwickte dich in deinen braunen Arm, um dir vorzuführen, was diese Schlangen machten, wenn man ihnen zu nahe kam. Ich führte dich auf die Höhen und zeigte dir, wo Süßwasser aus der Erde quoll, ein Zauber, der sich durchaus mit den Kunststücken deines Vaters messen konnte.
    Einmal saßen wir auf einem Baum und verspeisten Granatäpfel, als ich meine Augen nicht von einem roten

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