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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Zuerst tauchtest du kurz den Kopf ein, dann gingst du dazu über, dich etwas länger unter Wasser hinzuknien und mit aufgeblasenen Backen den Atem anzuhalten. Noch ein Weilchen, und du schwammst unter der Oberfläche dahin, wobei du dich mit einem Tritt vom sandigen Boden abstießt. Ich sah zu, wie du mit wallenden Haaren an mir vorbeiglittest, und streckte die Hand aus, um deine Seite daran entlangstreichen zu fühlen.
    Nicht! riefst du lachend und prustend, als du hochkamst. Das kitzelt!
    Und die ganze Zeit über schritt dein Vater langsam das Ufer der Lagune ab, eine dunkle Gestalt, ähnlich dem Schatten einer Sonnenuhr.
    Beim Strampeln an einer etwas tieferen Stelle tratest du auf etwas. Es konnte ein Aal gewesen sein oder vielleicht nur eine dicke Tangknolle, aber du schriest erschrocken auf. Ich schwamm herbei und nahm dich hoch – der Kräfteunterschied zwischen uns hatte zugenommen, und das Wasser machte dich noch leichter, so daß es ein Kinderspiel war, dich hochzuheben. Wir begaben uns ins flachere Wasser zurück, und ich hielt dich ein Weilchen auf dem Arm. Als ich dein Gewicht auf meinen Armen spürte, begriff ich plötzlich, warum der blutrote Granatapfelsaft mir Angst gemacht hatte. Du warst lebendig, ein Wesen aus Fleisch und warmem Blut, und somit warst du verletzlich. Die tapfere Miranda war nicht gefeit gegen Vipernbisse oder Fischgräten. Du konntest sterben, genau wie meine Mutter gestorben war. Du konntest mich verlassen.
    Die Weile, die ich dich hielt, zog sich hin. Beide waren wir triefend naß, dein Hemd klebte dir am Leib, dein Fleisch lag kühl an meinem. Ich blickte ans Ufer. Dein Vater war auf deinen Schreckensschrei hin nicht losgelaufen, oder er war gleich wieder stehengeblieben, aber er schaute durchdringend. Seine Augen hefteten sich an meine, und auf einmal fühlte sich der Wind an meiner nassen Haut kühl an. Ich ließ dich herunter.
    Ich bin jetzt müde, und ich habe Hunger, meintest du zu mir. Komm, laß uns etwas essen gehen!
    Ich nickte und stapfte hinter dir durch das Wasser auf den Sand. Erst als ich mich am Abend zum Schlafen eingerollt hatte, wurde mir bewußt, daß du im Augenblick deiner Angst nicht »Vater!« gerufen hattest, sondern »Kaliban!«

Enthüllungen
     
     
     
    Kurz nachdem ich dir Schwimmen beigebracht hatte, machte Prospero mir ein Geschenk. Wie bei den Worten, die er mich lehrte, war es etwas, das sowohl gab als auch nahm.
    Er hatte mir Kniehosen gemacht.
    Ich war begeistert. Mir waren die Unterschiede zwischen euch höheren Wesen und mir durchaus aufgefallen, und obwohl ich meinen Wünschen noch nicht Ausdruck verleihen konnte, sehnte ich mich danach, diese Lücke zu schließen. Kleidung war eine der Sachen, die ich begehrte – oder wenigstens faszinierte mich die Vorstellung: Wenn ich mir gelegentlich einmal Prosperos herumliegenden Umhang oder sein Hemd schüchtern übergeworfen hatte, hatte mir das in Wirklichkeit ein kratziges und eingeengtes Gefühl gegeben. Und wenn dein Vater mich dabei ertappte, wie ich mit Hilfe von Kleidung einen richtigen Menschen spielte, lachte er und nahm mir die gestohlenen Sachen wieder ab.
    Jetzt aber hatte er seine Meinung geändert. Ich glühte vor Stolz, so sehr fühlte ich mich geehrt. Ich war emporgehoben worden! Ich zog meine neuen Kniehosen an, nicht ohne beim ersten Versuch vorn und hinten zu verwechseln, und führte dann einen triumphierenden Freudentanz auf. Du kichertest und klatschtest in die Hände bei meinem Anblick, und so hüpfte ich noch ausgelassener. Selbst Prospero lachte angesichts meiner Luftsprünge übers ganze Gesicht.
    Und ich habe noch etwas für dich, sagte er.
    Er langte in seinen Mantel, holte ein Beil hervor und reichte es mir mit dem Griff zuerst.
    Das Blatt hatte im Kiel des Bootes gelegen, als du und dein Vater übers Meer getrieben wart. Damals war es alt, schartig und verrostet gewesen, doch jetzt funkelte es wie neu. Er hatte es sauber geschabt und an einem Stein geschliffen, dann einen Eisenholzstiel eingepaßt und ihn mit Schnur festgebunden.
    Was? fragte ich. Für… was?
    Damit kannst du Holz fürs Feuer hacken oder ein erlegtes Wild abhäuten und ausnehmen oder dich meinetwegen sogar gegen Ungeheuer verteidigen, kleiner Wilder. Und sein Lächeln war wieder da, dünn und hell wie eine feine Mondsichel.
    Ich blickte auf meine neuen Kniehosen, dann betrachtete ich das wunderschöne, schwere Ding in meiner Hand. Ich war überwältigt. Tränen schossen mir in die Augen, und ich sah,

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