Die Insel des Mondes
fertig machen.«
Erstaunt sah Paula zu Villeneuve. »Woher wissen Sie das alles?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe eben meine Hausaufgaben gemacht, bevor ich losgefahren bin.«
»Ich habe auch alles über Madagaskar gelesen, was ich zu fassen bekam.« Morten klang säuerlich. »Aber ich habe nicht damit gerechnet, mit Krokodilen kämpfen zu müssen.«
»Aber die sind doch hier überall, Morten.« Villeneuve zog missbilligend seine rechte Augenbraue hoch. »Und im Nord osten, wo Ihre Gemeinde auf Sie wartet, in den Mangroven, dort finden Sie ganze Scharen.«
»Wenn Sie sich so gut mit diesen widerlichen Panzerechsen auskennen, dann verraten Sie uns doch, was man tun kann, wenn man von ihnen angegriffen wird.«
Die Streitereien zwischen den beiden wurden jeden Tag heftiger, der Ton härter. Keiner konnte etwas, das der andere gesagt hatte, so stehen lassen. Jeder musste noch eins draufsetzen.
»In Madagaskar kämpft man natürlich nicht mit ihnen«, antwortete Villeneuve und sah sich nach Noria um, die mit Nirina zum Wald hinübergegangen war, während sie das Floß ausprobiert hatten. Dann fuhr er in verschwörerischem Tonfall fort: »Aber sonst empfehle ich Folgendes: Wenn Sie am Ufer von einem Krokodil angefallen werden, dann rennen Sie und klettern Sie auf den nächsten Baum. Wenn es aber schon Ihr Bein geschnappt hat, dann versuchen Sie seine empfindlichen Augen zu bedecken oder sie irgendwie zu verwunden, dann kann es sein, dass es sein Maul öffnet und Ihr Bein freikommt. Schlimm wird es erst, wenn es anfängt, sich zu schütteln und zu drehen. Sie wissen ja, trotz der prächtigen Zähne kann das Krokodil Sie nicht in kleine Stücke kauen und zermahlen. Um Sie zu zerfetzen, muss es sich um sich selbst drehen.«
Angesichts dieser eindringlichen Schilderungen hatte sich Paulas ganzer Mut in Luft aufgelöst. »Und was machen wir jetzt?«
»Wir fahren am Nachmittag hinüber, ich schätze mal, dass wir höchstens eine halbe Stunde brauchen werden, solange schaffen wir es, uns die Biester vom Hals zu halten.«
»Morten?« Paula warf ihm einen fragenden Blick zu.
Der Norweger zuckte mit den Schultern. »Ich werde beten und den Herrn um Rat fragen.« Er lief zu seinem Zelt und verschwand.
Paula und Villeneuve sahen sich an. Er räusperte sich und trat näher zu ihr hin. »Ich habe mich gerade wie ein Schuljunge benommen. Weil Morten mir auf die Nerven gegan gen ist, habe ich so getan, als wäre nichts dabei, aber in Wahrheit habe ich selbst große Angst.«
Er wirkte sehr angespannt. Die Falten, die rechts und links von seiner Nase zu seinem Mund führten, traten noch schärfer hervor. Einige Haare am Ansatz seiner hohen, brei ten Stirn waren in den letzten Wochen grau geworden. Oder waren sie schon auf Nosy Be grau gewesen, Paula konnte sich nicht daran erinnern, weil sie ihn noch nie so gründlich betrachtet hatte. Etwas in seinen braungrünen Augen hatte sie davon abgehalten, das zu tun. Und so war ihr auch entgangen, wie perfekt die Proportionen in seinem Gesicht waren, das kräftige Kinn zu dem schön geschwungenen Mund und die großen, leuchtenden Augen über den hohen Wangenknochen.
Jetzt hatte sie ihn aber doch zu lange angestarrt, abrupt wandte sie ihr Gesicht ab.
Da griff er nach ihren Händen. »Um genau zu sein, ich habe Angst um Sie. Sie sind zwar das merkwürdigste Frauen zimmer, das mir je begegnet ist, aber der Gedanke, Sie aus dem Maul eines Krokodils herausziehen zu müssen, erfüllt mich mit Schrecken, und ich habe Lázlós Tod noch nicht einmal ansatzweise verwunden.«
Seine Hände fühlten sich trotz der Hitze angenehm trocken an, und Paula war überrascht, dass er mit ihr über seine Ängste redete, und noch viel mehr erstaunte sie, wie sehr sie das Gefühl mochte, das seine rauen Hände auf ihrer Haut auslösten.
»Aber ich schätze, diese Biester mögen lieber weniger zähe Menschen …« Er warf einen vielsagenden Blick zu Morten, der mit der Bibel unter dem Arm aus seinem Zelt trat und wieder auf sie zukam. Sie biss sich auf die Lippen, um nicht zu lächeln.
»Und, Morten, was hat Gott Ihnen geraten?« Villeneuve ließ Paulas Hände los.
»Spotten Sie nur, Sie sollten es auch einmal versuchen, anstatt sich an alleinreisende Damen heranzumachen. Nun, allein kann ich den Fluss unmöglich umgehen, also begebe ich mich in die Hand des Herrn. Wirf dein Anliegen auf den Herrn, er wird dich versorgen .«
Paula nickte beiden zu. »Dann werde ich alles zusammenpacken, damit
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