Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel des Mondes

Die Insel des Mondes

Titel: Die Insel des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
Vom Netzwerk:
wir es am Nachmittag wagen können.«
    Auf dem Weg zu ihrem Zelt begegnete sie Noria, die ihr Nirina entgegenstreckte und sie aufmerksam musterte.
    »Dann gibt es also kein Zurück?«, fragte Noria.
    »Für uns nicht, aber niemand wird Sie zwingen.«
    »Nein, niemand von den Lebenden kann mich zwingen, das können nur meine Ahnen.« Mit einem seltsamen Lächeln ging Noria an ihr vorbei, und Paula grübelte darüber nach, was Noria damit sagen wollte. Hieß das nun ja oder nein?
    Sie seufzte, alles war so viel schwieriger, als sie sich das beim Lesen von Mathildes Rezeptbuch immer ausgemalt hatte. Wenn ich erst in Madagaskar bin, dann wird es leichter, hatte sie gedacht. Sie lachte und sah zu Nirina, dann begann sie damit, alles zusammenzupacken. Lázlós Sachen waren in ihrem Zelt. Sie überlegte, ob sie die anderen bitten konnte, etwas von seinen Habseligkeiten zu tragen, nein, entschied sie dann, das ist meine Aufgabe.
    Sie packte ihren Schatz, Mathildes Buch, in ihre mit Lein öl imprägnierte Regenjacke aus Leinen und umwickelte es fest mit Raffiabändern, damit es Wasserspritzer überstehen konnte. Dann stopfte sie es zurück in ihre Ledertasche. Ohne das Buch käme ich mir nackt vor, dachte sie. Es ist meine einzige Verbindung zur Vergangenheit und zur Zukunft.
    Sie kniete sich zu dem Kind. »Und dich, Nirina, werde ich ganz fest an mich binden, damit du nicht über Bord gehen kannst.« Sie suchte nach den sauberen Stoffstreifen, die sie gewaschen hatte, und wickelte Nirina aus, bis er nackt vor ihr lag. Er war wach und strahlte sie an. Unwillkürlich lachte sie zurück, streichelte seinen nackten, gut verheilten Bauch und kitzelte ihn, was ihn zu einem erstaunten Glucksen brachte. Er riss seine Augen noch weiter auf und griff mit seinen Händchen nach ein paar Haarsträhnen, die aus ihrem Knoten gerutscht waren.
    Was für speckige Beinchen er hat, wo er doch nicht einmal Muttermilch bekommt, dachte Paula. Plötzlich sah sie ihn wieder in dem Ameisenhaufen liegen und küsste ihn schnell ein paarmal auf seinen Bauchnabel, um die Erinnerung daran zu vertreiben. Ihre Küsse ließen ihn vergnügt strampeln, und sie fing an mit ihm zu reden. Zu ihrer großen Überraschung strömten die Worte aus ihrem Mund, als ob sie schon lange darauf gewartet hätten, befreit zu werden. Sie summte und lachte. »Mein Häschen, mein kleiner arabischer Prinz, der du nach Oud duftest wie Tausendundeine Nacht, mein Nirini – mein Nirino – mein Nirina«, und schließlich hob sie ihn hoch, stand auf und drehte sich mit ihm im Kreis herum, und weil es ihnen beiden so gut gefiel, hörte sie erst auf, als ihr so schwindelig war, dass sie beinahe hingefallen wäre.
    »Ich werde dich nicht mehr hergeben«, flüsterte sie. »Lázló hat recht gehabt, du gehörst nun zu mir, du bist nun wirklich mein Sohn.« Sie drückte ihn zärtlich an sich, doch da trat unerwartet und ungebeten das Bild ihres toten Sohnes vor ihr inneres Auge. »Nein!« Sie küsste Nirinas schmales Gesicht wieder und wieder und murmelte wie ein Gebet, wie ein Versprechen: »Du, mein Kleiner, du wirst nicht sterben. Und deshalb werde ich alles tun, damit du nicht über Bord gehst.« Sie schnürte ihr Bündel auf und suchte nach einem Hemd von Lázló, um daraus einen ganz besonders sicheren Tragegurt für Nirina zu basteln.
    Während sie in seinen Sachen nach dem Hemd mit den längsten Ärmeln suchte, beschlich sie ein merkwürdiges Gefühl. Hier stimmte etwas nicht, oder? Sie hielt inne und überlegte, was der Grund für ihren Eindruck sein konnte. Die wenigen Kleider waren alle noch da, auch Lázlós Reise pass und die Pfeife aus Meerschaum, aber es fehlte etwas. Das Foto war auch noch da, aber jetzt dämmerte es ihr, das Medaillon war fort. Sie griff sich ein Hemd aus Leinen, um es zurechtzuschneiden, und dabei wurde ihr klar, dass noch etwas fehlte, das Skizzenbuch mit dem Brief. Sie versuchte sich zu erinnern, an wen er gerichtet gewesen war. An ei nen Mann, und der Vorname hatte mit »E« begonnen, da war sie sicher, weil der Vorname ihres Mannes Eduard gewesen war. Jetzt ärgerte sie sich, dass sie den Brief immer noch nicht gelesen hatte, weil sie so mit dem Bau des Floßes beschäftigt gewesen waren, dass sie ihn ganz vergessen hatte.
Aber wohin war der Brief verschwunden? Wenn nur der Brief fehlen würde, grübelte sie, dann hätte ich sicher gedacht, dass er aus dem Bündel gerutscht ist. Aber das Skizzenbuch und der Brief und das Medaillon, während die

Weitere Kostenlose Bücher