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Die Insel des Mondes

Die Insel des Mondes

Titel: Die Insel des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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bückte sich nach dem Buch, aber Morten war schneller als sie. Er behielt es in der Hand und starrte den aufgeweichten Ledereinband neugierig an.
    »Wären Sie so freundlich?«, bat ihn Paula mühsam beherrscht und streckte auffordernd die Hand nach Mathildes Rezeptbuch aus. Sie fand es unfassbar dreist, dass er sie nicht in Ruhe ließ und sich auch noch erlaubt hatte, ihr heiliges Buch anzufassen.
    Widerwillig reichte Morten es ihr. »Ich hoffe, es hat keinen Schaden genommen.«
    »Nein, nur meine Nase.«
    Paula nahm es ihm ab und lief voran, obwohl sie nicht wusste, wohin sie gehen musste.
    Morten berührte sie am Ellenbogen. »Es geht dort lang.« Er führte sie durch den Dschungel, und Paula wurde wieder schmerzlich bewusst, dass sie nichts riechen konnte. Sie er innerte sich an den typischen Geruch von Morten, Kümmel, Bergamotte und eine Spur Holunder, aber sie roch nichts, auch nicht die feuchte Erde, dafür hörte sie die ganze Zeit ein leises Rascheln, das nicht von ihren Füßen stammte, denn es kam aus den Bäumen über ihr. Sie blieb stehen und spähte nach oben.
    »Was ist los?«, fragte Morten.
    In diesem Moment entdeckte Paula direkt über Morten den kleinen Lemuren mit den großen Augen. »Dort oben, sehen Sie doch!« Sie streckte den Zeigefinger aus und deu tete auf ihn, aber Morten konnte ihn nicht sehen. Ob das der gleiche Lemur war, der vorhin auf ihre Schulter gesprungen war? Unsinn, Paula schürzte die Lippen, die sahen doch alle gleich aus, und soweit sie wusste, lebten sie in Familien zusammen. Da hörte sie das Rascheln wieder und sah in die Baumkronen hinauf. Der Lemur sprang gerade von einem Baum zum nächsten, und Paula kam es vor, als würde er sie dabei anschauen. Und demnächst redest du noch mit Bäumen und Steinen. Vielleicht verursachte ein Schlag auf die Nase auch eine Störung im Hirn.
    Schweigend liefen sie nebeneinander. Paula hatte das Gefühl, dass Morten über etwas nachdachte und gern mit ihr gesprochen hätte, weil er ein paar Mal ansetzte, aber dann jedes Mal wieder innehielt.
    »Vermissen Sie Ihre Familie? Oder Norwegen?«, fragte sie schließlich, weil ihr sein Schweigen langsam unheimlich wurde.
    Morten blieb stehen und wandte sich ihr zu. »Ja, doch, ich vermisse das, was einmal mein Zuhause war.«
    »Und woran erinnern Sie sich am liebsten?«
    Morten schürzte die Lippen und kratzte sich am Kopf. »An meine Mutter. Sie war eine wundervolle Frau. Sie war immer für mich da.« Jetzt grinste er spitzbübisch. »Ich war ihr Liebling. Sie hat mir alles durchgehen lassen und mich verwöhnt, obwohl sie eine sehr strenggläubige Frau war.« Er wurde wieder ernst. »Aber sie ist viel zu früh gestorben. An Heimweh.«
    »Das tut mir leid«, murmelte Paula und dachte an ihre Mutter, deren Liebling Gustav gewesen war, und fragte sich zum ersten Mal, wie es ihrem jüngeren Bruder wohl ergangen war.
    »Sind Sie deshalb Missionar geworden? Wegen ihrer Mutter?«
    Er schüttelte den Kopf. »Wir sind da.« Er begleitete sie zu ihrem Zelt, wo Villeneuve mit Nirina auf dem Arm auf sie wartete. Er hatte sich offensichtlich noch nicht rasiert und umgezogen.
    »Warum tun Sie uns das andauernd an?« Er funkelte Paula wütend an, und sein Ton schreckte Nirina auf.
    »Wir haben alle etwas anderes zu tun, als ständig hinter Ihnen her zu springen, zu schwimmen, zu rennen oder sonst etwas zu tun.«
    »Ich kann sehr gut allein auf mich aufpassen.« Sie hätte ihm Nirina gern abgenommen, aber sie hatte immer noch den Brief und das Buch in der Hand.
    »Einen Moment, bitte.« Sie verschwand im Zelt, legte den Brief und das Buch in eine der Truhen, die Ledertasche war leider noch durchweicht und kam als Aufbewahrungsort nicht infrage. Dann stürmte sie wieder nach draußen und nahm Nirina auf ihren Arm.
    »Es tut mit leid«, sagte sie, nur um das Gespräch zu beenden.
    »Heute Abend wird uns zu Ehren ein großes Fest gefeiert, und Sie sehen aus wie eine Vogelscheuche.«
    Paula starrte Villeneuve an, dann schielte sie zu ihrer monströs geschwollenen Nase hin. Er war so ein widerwärtiger Kerl. Sie drückte Nirina fester an sich, was ihm nicht gefiel. Er strampelte und quiekte, und Paula kam sich vor wie die letzte Versagerin, nicht einmal das Kind fühlte sich wohl in ihrer Nähe.
    Vogelscheuche. Verzweifelt suchte sie nach einer ähnlich gemeinen Replik, fand dann aber, dass jedes weitere Wort an ihn nur verschwendet gewesen wäre.
    Sie ließ ihn stehen, drehte sich um und ging in ihr Zelt.
    Dort

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