Die Insel des Mondes
habe ich nicht mehr viel Zeit und muss mich kürzer fassen. Also, mein Gemisch war noch nicht annähernd so gut, wie ich es mir gewünscht hatte, und erinnerte mich leider an die Mixtur, die ich für die feiste Gattin von Monsieur Beaumont kreiert hatte, nachdem sie mir angedeutet hatte, sie wünschte sich etwas, um die Gelüste ihres Gatten anzuregen. Weil ich ihr Gast war und sie für uns einnehmen wollte, hatte ich ihr aus Iris, Tuberosen, Veilchen, Jasmin, Grapefruit, Orangenblüten, Rosen, Ylang-Ylang, Vanille und einem Hauch von Moschus etwas Sinnliches gezaubert. Wenn ich gewusst hätte, wie sich unser Verhältnis entwickelt, dann hätte ich davon Abstand genommen. Nun, jetzt war ich aber auf der Suche nach etwas Neuem, Überraschendem, es sollte frisch-würzig sein, aber auch Anklänge von Zibeth und schwarzer Ambra haben, aber nicht zu intensiv sein. Nur deshalb bin ich zu diesem Fluss. Dort habe ich schon einige interessante Pflanzen entdeckt, die ich nicht kannte, und in Ermangelung eines Namens habe ich ihnen eigene gegeben. Eine kleine mit hübschen rosa Blüten habe ich Florenzia genannt, nach Dir, meine schöne Tochter.
Der Fluss war nicht sehr breit und seicht, mit rotgoldenem Sand und auffallend wenigen Fischen darin. Am Ufer wuchsen nur sehr wenige große Bäume, ein paar Elefantenohren, dafür wucherte jede Menge Gestrüpp. Ein paar umgestürzte Bäume bildeten natürliche Stege, die man aber nur nutzen konnte, wenn man, wie ich, schwindelfrei ist. Auf der einen Seite befand sich ein Dach aus hellen grünen Blättern, dahinter Sträucher, Bambus, Lianen.
Dieses Blätterdach machte mich neugierig, auch glitzerte der Fluss dort so einladend in der Sonne. Ich musste mir das genauer ansehen und balancierte über einen der umgestürzten Stämme hinüber. Dort zog ich mir Schuhe und Strümpfe aus, watete durch den Fluss und zwängte mich unter dieses Blätterdach.
Nach ein paar Schritten war das Dach so hoch, dass ich gerade eben so aufrecht gehen konnte. Es umfing mich die gedämpfte Stille und das gefilterte Licht einer grünen Kathedrale. Nicht einmal das Plätschern des Flusses war hier zu hören. Ein Duft von frischem Karamell lag in der Luft, von Anis und Bergamotte und eisenhaltigem Wasser. Das alles vermischte sich zu einem göttlichen Parfüm, das wie geschaffen für diesen heiligen Ort war. Ich bückte mich, um zu sehen, ob diese Mischung einer einzigen Pflanze entströmen konnte, und konzentrierte mich bei meiner Suche deshalb mehr auf meine Nase als auf meine Augen.
Tatsächlich fand ich eine Pflanze, deren dünne Wurzeln absurd in die Luft abstanden und rot herausleuchteten wie Christsterne. Ihnen entströmte der Duft von Anis und Bergamotte. Doch ich wagte es nicht, diese Wurzeln abzubrechen, ihr Rot wirkte wie eine Warnung. Überwältigt von der Heiligkeit dieses Ortes, kam ich mir vor wie ein Eindringling und beschloss, fürs Erste nach Hause zu gehen.
Aber dieser Ort ließ mich nicht mehr los, nachts träumte ich davon, mir erschienen die blauen Schmetterlinge im Schlaf, und heute glaube ich, sie wollten mich warnen. Aber ich hörte nicht auf sie – wann hätte Deine Mutter schon jemals auf die Stimme der Vernunft gehört? Ich ging also wieder hin und war enttäuscht, weil ich diesen besonderen Duft nicht mehr finden konnte, auch die rote Wurzel verströmte kein Aroma mehr.
Aber ich konnte davon nicht lassen und ging ein drittes Mal in diesen heiligen grünen Tempel.
Dieses Mal entdeckte ich eine kleine Blume, deren unscheinbare blaue Blüten vanillbuttrig nach Karamell dufteten und deren lanzettenförmigen Blätter die anderen Aromen verströmten, die ich beim letzten Mal gerochen hatte. Anis, Bergamotte und eisenhaltiges Wasser. Diese Blume musste ich mitnehmen, ich grub sie aus der Erde, vorsichtig, weil ich auf keinen Fall ihre Wurzeln beschädigen wollte. Dabei war mir, als müsste ich dafür um Verzeihung bitten, etwas, was mir, wie Du ja weißt, außerordentlich schwerfällt.
Die Wurzeln schimmerten golden, was ich dem heiligen Ort zuschrieb, der meine Fantasie mit mir durchgehen ließ. Aber dann sah ich genauer hin. Wirklich, die Wurzeln hatten sich um kleine goldene Klumpen gewunden. Eine optische Täuschung, da war ich sicher, meine Fantasie verlieh meiner Freude über die Entdeckung dieser Pflanze Flügel, gaukelte mir das vor. Ich fasste die Erde an, wollte sie zerkrümeln, aber es gelang mir nicht. Zwischen meinen Fingern blieben feste, goldene Tröpfchen. Ich grub
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