Die Insel des Mondes
zu schen ken. Sie blieb noch einen Moment stehen und genoss das sanfte Streicheln des Windes um ihren nackten Körper, dann ging sie in die Hocke und roch an der nassen Seife. Diese hatte sie für Madame Rivet gemacht, weil sie unbedingt eine mit orientalischer Anmutung haben wollte. Ihre Lip pen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen. Es würde ihre Mutter umbringen, wenn sie auch nur ahnen könnte, wie sie sich auf Nosy Be über Wasser gehalten hatte. Mit Großmutters Seifenrezepten und nur durch Kundinnen wie Madame Rivet.
Die Seife hatte ihr zwar finanziellen Aufschub verschafft, aber ihre Ungeduld nicht verringert. Bis zum Sommer hatte sie trotzdem noch warten müssen.
Sie erhob sich wieder und begann sich anzuziehen. Erst Anfang November waren sie schließlich abgereist, zuerst durch den staubtrockenen Westen der Insel mit seinen beein druckenden Baobab-Alleen. Doch in den letzten Tagen hatten sie erste Bekanntschaft mit der feuchten Hitze des Regenwaldes gemacht, und sie war froh, dass sie jetzt im Hochland waren, wo das Klima erträglicher war. Mora-Mora, davon hatte sie in den Wartemonaten wirklich reichlich gehabt.
Deshalb hatte sie nicht einen Moment gezögert, mit den drei Männern aufzubrechen, auch wenn ihr klar gewesen war, dass es ihren Ruf ruinieren würde. Welchen Ruf denn, sag mir, welchen Ruf, hatte die Stimme in ihrem Kopf gekichert.
Sie hatte sich eingebildet, vieles über das Wetter und die Landschaft von Madagaskar zu wissen, ebenso wie über Män ner, aber nichts und niemand hatte sie auf das Abenteuer vorbereitet, mit drei derart störrischen und selbstverliebten Männern durch den kargen und trockenen Westen in das Hochland Madagaskars zu reisen.
Während sie die Knöpfe an den Manschetten ihrer Bluse schloss, fragte sie sich, was ihre Großmutter zu ihren Reisegefährten gesagt hätte. Paula war sicher, dass sie eine starke Frau gewesen sein musste, und sie wünschte sich einmal mehr, jemanden zu treffen, der Mathilde gekannt hatte. Immer öfter unterhielt sie sich in Gedanken mit ihr. Ihre Großmutter war in ihren Gesprächen natürlich dafür gewesen, nach Madagaskar zu reisen, schließlich befand sich Paulas Erbe hier auf der Insel. Vor den drei Männern hatte Mathilde sie jedoch strengstens gewarnt, was Paula ignoriert hatte, da sie endlich vorankommen wollte. Lázló hatte sie zuerst kennengelernt, schwer verwundet im Lazarett von Nosy Be, wohin sie ihre Seifenreste gebracht hatte. All das, was sie bei Madame Rivet und den Wäscherinnen am Fluss nicht losgeworden war.
Sie kletterte die Böschung wieder hinauf und ging zurück zum Lager, wo Noria mit dem Kochen schon fast fertig war.
Noria musterte sie mit diesem durchdringenden Blick, den Paula nicht einordnen konnte und der sie jedes Mal verunsicherte, worüber sie sich dann wiederum maßlos ärgerte. Und das, obwohl Norias Haut so angenehm wie eine Mischung aus Oregano, nassem Sand und Zitronengras roch. Niemand sollte mehr die Macht haben, sie durcheinanderzubringen. Nicht nach allem, was sie durchgemacht hatte.
Manchmal befürchtete sie, Noria könnte sie so seltsam anstarren, weil sie spürte, wie hässlich Paula sie fand. Paula wollte nicht von derart unfreundlichen Gedanken heimgesucht werden, schließlich hatte Noria sie am Fluss mit den Frauen vor einem schlimmen Fehler bewahrt. Aber sie schaffte es nicht, diese Gedanken abzustellen, deshalb schämte sie sich und mochte Noria nur noch weniger.
Norias Gesicht war flach, mit einer dominanten, breiten Nase darin, als ob man ihr eine Pfanne ins Gesicht geschlagen hätte. Ihre Augen standen sehr eng zusammen, was ihr den Ausdruck von jemandem verlieh, der ständig missbilligend die Augenbrauen zusammenzog. Deshalb hatte sich Paula eigentlich vorgenommen, nur noch auf ihren ange nehmen Geruch und ihren Mund zu achten, der sehr hübsch geschwungen und voll war und die Farbe von eingemachten Schattenmorellen hatte. Ihre Haut war deutlich heller als die vieler Madagassen, was darauf hinwies, dass sie von den Merina abstammte. Morten hatte ihr erklärt, dass die Merina, die das Hochland beherrschten, stolz darauf waren, eine hellere Haut zu haben als die anderen Bewohner Madagaskars. Alle Könige und Königinnen von Madagaskar entstammten den Merina.
Von Morten hatte Paula auch noch mehr über die Fadys der Insel gehört. Die Tabus, die man strengstens einhalten musste und deren Missachtung schwer und manchmal sogar mit dem Tode bestraft werden konnte, woran auch die
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