Die Insel des Mondes
begann er mit einem eintönigen Singsang, der immer mit dem Namen von Paulas Großmutter endete.
Sie hätte nicht sagen können, wie lange er das wiederholte, bis ihr auffiel, wie totenstill es auf einmal hier oben geworden war. Der Wind wehte nicht mehr, die Vögel waren verstummt, das Laub raschelte nicht mehr, die Mücken hatten aufgehört zu summen, einzig und allein die Stimme des Kelimalaza war zu hören.
Alles um Paula herum begann sich zu bewegen und zu drehen, sie musste sich hinsetzen, weil ihre Beine anfingen zu zittern, sie schloss ihre Augen, und gleichzeitig atmete sie lange und tief ein und aus und hörte keine einzelnen Worte mehr, nur noch »Mathilde« und wieder »Mathilde«.
Und plötzlich war der Duft aus den Flakons überall, schien sie zu umhüllen, und obwohl er ihr so vertraut war, machte er ihr Angst, weil er sich wie ein weiches Tuch um sie herumlegte. Sie riss die Augen wieder auf und sah sich um, niemand hatte eine Decke um sie gelegt. Der Kelimalaza stand nah am Abgrund, und sie war ganz allein mit dem lapislazuliblauen Himmel. Und doch spürte sie immer noch diesen Duft, der ihre Haut umgab wie feine, streichelnde Seidenschleier. Ihre Augen suchten das Fläschchen, um eine Erklärung für den Geruch zu bekommen, doch der Kelimalaza hatte es nicht einmal geöffnet. Das Fett brannte noch, ebenso wie der Weihrauch, der aber durch diesen anderen Duft nicht an ihre Nase dringen konnte.
»Mathilde«, murmelte sie und senkte ihre Augenlider wie der. Alles wurde schwarz. Ich brauche keine Angst zu haben, erkannte sie, auch wenn hier merkwürdige Dinge vorgehen, ich bin beschützt. Sie holte nochmals tief Luft und spürte, wie ihre Lungen sich weit öffneten. Plötzlich flimmerte es in dem Schwarz vor ihren Augen, das Flimmern wurde stärker und zu einem leuchtenden Blau, und dann erkannte sie die blauen Schmetterlinge aus dem Regenwald, die fröhlich zu ihr hinflatterten, auseinanderstoben und sich dann wieder zu einer Wolke formierten. Dann wurde der Schlag ihrer Flügel sanfter, wurde zu Paulas Herzschlag, und blauer Duft strömte durch ihre Adern.
Erst als die Schmetterlinge schon lange wieder in der Dunkelheit verschwunden waren, öffnete Paula ihre Augen. Immer noch saß sie am Felshang, Noria und der Kelimalaza hockten neben ihr und betrachteten sie neugierig. Der Kelimalaza fragte sie etwas.
Paula hatte keine Worte für das, was gerade passiert war. Sie wusste nur, dass sie sich erst einmal in ihrem Leben so großartig gefühlt hatte wie gerade jetzt, und sie hatte nicht erwartet, so etwas jemals wieder zu spüren.
Damals war sie sieben Jahre alt gewesen und hatte es gerade geschafft, endlich ganz allein zu schwimmen. Sie spürte das köstliche kalte Wasser überall auf ihrer nackten Haut, in dem braunen, moorigen Teich, der ihre blassen Gliedmaßen in Gold verwandelt hatte. Mit jedem Zug ihrer Arme war sie weiter durch den Teich geschwebt, hatte sich auf den Rücken gedreht, Wasserkaskaden in die Luft gestrampelt, hatte gestaunt über die Leichtigkeit ihres Körpers, gestaunt über die kleinen Regenbogen in der Sonne, und jeder Herz schlag hatte ein begeistertes Lachen durch ihren Körper gepumpt.
»Hast du mit deiner Großmutter gesprochen?«, übersetzte Noria die Frage des Kelimalaza und holte sie in die Gegenwart zurück. »Oder sie gesehen?«
»Nein«, sagte Paula und lächelte Noria an, lächelte die Welt an. »Nein.« Nicht gesehen, nur gespürt, sie hatte etwas gespürt. Sie stand, immer noch wacklig in den Knien, auf und stolperte. Noria und der Kelimalaza stützten sie, dann verbeugten sie sich plötzlich ehrfürchtig, aber wie Paula einen Moment später erkannte, nicht vor ihr. Denn als sie sich umdrehte, sah sie die Königin, die oben an der Treppe stand, die zum Felsen geführt hatte, und sie zu sich winkte.
Heute Morgen trug die Königin einen zum Rock geknoteten Lamba und darüber einen weißroten Lamba, was sie weniger imposant wirken ließ.
»Und wie geht es Ihrer Großmutter?«, fragte sie auf Englisch. Paula antwortete, ohne nachzudenken und ohne die nötigen Respektbezeugungen. »Gut, sie möchte, dass ich tue, was ich tue.«
Die Königin lächelte. »Das freut mich zu hören. Ich denke nicht, dass Jesus etwas dagegen hat, wenn wir mit unseren Ahnen sprechen. Darf ich Sie etwas Persönliches fragen?«
Paula nickte und war gespannt.
»Es ist mir gestern Abend schon aufgefallen, Sie duften so sauber und frisch wie eine Blume, das gefällt mir, was ist
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