Die Insel des Mondes
Augenblick trat Villeneuve zu ihnen, entdeckte Norias blanken Po im Spiegel und grinste breit. »Noria, Sie sehen ganz bezaubernd aus.« Er zwinkerte Paula zu, die vor lauter Peinlichkeit am liebsten im Boden versunken wäre.
»Finden Sie wirklich?«, fragte Noria.
»Absolut. Das bringt Ihre schönen Augen gut zur Geltung, ja, ich möchte mich sogar zu der Annahme versteigen, dass es Ihnen besser zu Gesicht steht als seiner Besitzerin, bitte verzeihen Sie mir, Madame Kellermann …«
Norias Zufriedenheit schimmerte aus jeder Pore ihrer Haut. Paula war hin- und hergerissen, einerseits war klar, dass Villeneuve sie mit diesem Kompliment beleidigen wollte, andererseits konnte er nicht wissen, wie sehr er ihr damit geholfen hatte. Sie entschied sich dafür, ihm vielsagend zuzulächeln.
»Noria, damit gilt unser Handel, oder?«
Noria nickte begeistert und bestand darauf, unterwegs das Kleid immer mal wieder anschauen und anfassen zu dürfen.
»Was denn für ein Handel?«
Noria und Paula sahen sich an, und Paula hoffte, Noria würde ihr Flehen verstehen und Villeneuve nichts verraten.
»Ich werde mit Frau Paula weiterreisen, um die Gebeine ihrer Großmutter zu suchen.«
Villeneuves Miene blieb undurchdringlich, aber Paula nahm plötzlich einen leichten Geruch von Aceton um ihn herum wahr.
»Wie interessant.« Er blickte mit einem ironischen Achselzucken wieder in den Spiegel, wo man die nackte Rückseite von Noria nur allzu deutlich sehen konnte.
»Wir sollten das Kleid wieder zurückbringen«, murmelte Paula und zerrte an Norias Arm, weil sie das Gefühl hatte, Villeneuve würde gleich etwas tun, was Norias Meinung ändern könnte.
Paula ging unter dem Vorwand, die Schleppe tragen zu müssen, wieder direkt hinter Noria, weil es ihr nicht richtig erschien, Noria noch länger Villeneuves Blicken auszusetzen.
Im Zimmer waren mittlerweile auch Morten und Lázló, was Noria nicht daran hinderte, sich vor ihnen umzuziehen, und die verwunderten Blicke der beiden störten sie kein bisschen. Paula kam sich nun lächerlich vor, weil sie sich Gedanken wegen Villeneuves Blicken gemacht hatte. Bevor Noria ging, bat sie sie nachzufragen, wann sie der Königin die Urkunde ihrer Großmutter zeigen könnte.
»Und wohin geht die Reise, wenn man fragen darf?« Villeneuve hatte sich zu den anderen gesetzt und sah ihr dabei zu, wie sie ihr Kleid in Seidenpapier einschlug und dann in dem mit Lavendel parfümierten Leinenbeutel verstaute.
In Paula rumorte es, sie wusste nicht, ob sie die drei zur Rede stellen sollte wegen dem, was sie vorhin gehört hatte, oder ob sie so tun sollte, als hätte sie keine Ahnung. Alles in ihr verlangte nach einer Antwort, aber ihr Verstand befahl ihr, dieses Mal auf ihn zu hören und nicht zu verraten, was sie wusste. Vor allem von Morten war sie schwer enttäuscht. Sie hatte wirklich geglaubt, er würde sie mögen.
»Was soll das heißen«, fragte Lázló. »Welche Reise?«
»Ich werde mit der Genehmigung der Königin dorthin reisen, wo das Grundstück meiner Großmutter liegt.«
»Dann wollen wir doch mal hoffen, dass es sich im Osten des Landes befindet.« Morten lächelte sie beim Vernuscheln seiner Worte wie immer freundlich an, und noch vor wenigen Stunden hätte sie sich darüber gefreut.
»Damit wir alle drei zusammen weiterreisen können, das ist doch sicher auch in Ihrem Sinn, oder?«
»Nein, ganz sicher nicht. Unsere Wege trennen sich jetzt.«
»So plötzlich?«
»Ja, ich werde morgen früh aufbrechen.«
Ihre drei Reisegefährten sahen sich verblüfft an.
»Darf man fragen, wo das Grundstück liegt?«
»Das erfahre ich später.« Paula griff sich die Ledertasche mit dem Buch ihrer Großmutter, in dem die Urkunde zwischen den Seiten lag, und verließ zielstrebig den Raum, obwohl sie gar nicht wusste, wie sie weiter vorgehen sollte.
Noch bevor sie sich darüber den Kopf zerbrechen konnte, trat ein Soldat zu ihr, der ihr bedeutete, ihm zu folgen.
Er führte sie wieder nach oben in den rundherum ver glasten Raum, wo der Premierminister schon auf sie wartete.
Paula begrüßte ihn und reichte ihm dann die Urkunde. Der Premier las sie aufmerksam durch, dann fragte er, was sie denn auf diesem Stück Land anbauen wolle.
»Vanille«, antwortete Paula und hoffte, dass das eine gute Antwort war.
»Vanille? Warum denn Vanille, das ist eine harte Arbeit, die eine ganze Familie beschäftigt. Haben Sie eine Familie?«
Paula biss sich auf die Lippen, der Premier konnte nicht wissen, was
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