Die Insel des Mondes
hatte, wurde ihr klar, dass sie sich das Kind um den Leib binden musste, um dort wieder hochklettern zu können.
Sie riss noch zwei Streifen von ihrem Rock ab, die sie verknotete, band sich den Jungen dann auf den Bauch und stieg den glitschigen, steinigen Abhang wieder hinauf.
16
Jasmin
Die Jasminblüten von Jasminum grandiflorum und Jasminum odoratissimum L. zählen zu den wertvollsten Blüten für den Parfümeur. Ihr Geruch ist herrlich, mild und so eigentümlich, dass er mit nichts verglichen und daher auch nicht künstlich nachgeahmt werden kann.
E igentlich hatte Paula damit gerechnet, dass man oberhalb des Abhangs schon auf sie warten würde, und sie war überrascht, dass weit und breit niemand zu sehen war. Sie schleppte sich mit dem Kind zum Lager, und dann wurde ihr klar, warum niemand nach ihr suchte. Man saß glücklich vereint um das Feuer herum, die Träger, Noria, Morten, Villeneuve und der vermisste Lázló. Sie tranken ganz offensichtlich Rum, und jeder von ihnen schwenkte ausgelassen sein neues Buschmesser, auch alle ihre Reisegefährten.
Als Paula näher kam, erstarben die Gespräche, ein Träger nach dem anderen sprang auf, deutete auf das Kind an ihrem Bauch, und dann rotteten sie sich aufgebracht zu einer Gruppe zusammen. Villeneuve, Morten und Lázló wirkten wie erstarrt, einzig Noria rannte auf sie zu. Paula glaubte, es hätte etwas mit weiblichen Instinkten zu tun, und hoffte, sie würde ihr das Kind abnehmen, aber Noria blieb mit verschränkten Armen vor ihr stehen.
»Halt, warten Sie, die Träger wollen nicht, dass Sie näher kommen.«
»Aber warum denn nicht?« Paula hätte sich gern hingesetzt und etwas getrunken, überall an ihrem Körper stachen und brannten die Bisse der Ameisen. Sie ignorierte Noria und ging an ihr vorbei. Jetzt stürmten Villeneuve und Morten zu ihnen.
»Was ist das?«, fragte Morten und deutete entsetzt auf das Kind.
»Ein Elefant!« Paula war am Ende ihrer Geduld. »Ein Säugling, den ich aus einem Ameisenhaufen gerettet habe.«
Noria zuckte zusammen. »Das ist Fady!«, stieß sie hervor.
»Was soll das heißen?« Paulas Knie schlackerten hin und her, die Ameisenstiche brannten auf ihrem Körper, und sie fühlte sich, als ob sie Fieber hätte. Das Bündel vor ihrem Bauch zog sie schwer nach vorn, und sie wollte es loswer den.
»Dieses Kind wurde ausgesetzt«, erklärte Noria mit zusammengekniffenen Augen, »es sollte sterben. Sie müssen es dahin zurückbringen, wo Sie es gefunden haben.«
Paula sackte auf die Knie, sie band das Kind von ihrem Bauch los. Die Träger waren jetzt in hellem Aufruhr und schwenkten drohend ihre Messer. Lázló versuchte offensichtlich, sie zu beruhigen.
»Zurückbringen? Das ist nicht Ihr Ernst, oder?«, fragte Villeneuve. »Wir können doch ein unschuldiges Geschöpf Gottes nicht dem Tod anheimgeben, nur wegen irgendeines lächerlichen Aberglaubens.«
»Aber wenn uns die Träger weglaufen, werden wir vielleicht alle sterben«, ließ sich Morten vernehmen.
»Da hat Morten recht.« Lázló hatte die Träger verlassen und war zu ihnen gerannt. »Aber egal wie wir uns entscheiden, sie werden nicht bleiben, ganz egal, was wir mit dem Kind machen. Sie sagen, Madame Kellermann hat den Zorn der Ahnen und damit großes Unglück über uns alle gebracht.«
Seine Worte ließen einen Knoten in Paula platzen, ausgerechnet Lázló erklärte ihr, was sie getan hatte. Schließlich hatte sie nach ihm gesucht, nicht nach ausgesetzten Kindern.
»Ja dann, hier, meine Herren«, sie reichte den Jungen an Lázló weiter, »werft das Kind doch in den nächsten Fluss, erschießt es, oder Noria, erwürge es. Ist mir gleich. Ist mir alles gleich. Kinder sind nur eine Last.« Paula ließ sich auf den Boden fallen und schloss die Augen. »Nur ein Stern mehr, ist doch nur ein Stern mehr am Himmel«, murmelte sie.
»Sie fantasiert«, hörte Paula Morten sagen, das brachte sie zum Lachen, aber es kam nur ein heiseres Husten heraus.
Villeneuve kniete neben ihr und legte seine Hand auf ihre Stirn. »Sie hat Fieber, ich fürchte, die Ameisen haben ihr mehr zugesetzt als dem Kind.«
»Was tun wir jetzt?«, fragte Noria.
Villeneuve hob Paula hoch auf seine Arme, und sie war viel zu erschöpft, um zu protestieren. Er trug sie in ihr Zelt, bettete sie behutsam auf ihre Matte und legte ihr etwas Kühles auf die Stirn.
»Erst mal senken wir das Fieber.« Er rief nach Noria, die nach kurzer Zeit wiederkam und Paula nach seiner Anleitung Wadenwickel
Weitere Kostenlose Bücher