Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel des Mondes

Die Insel des Mondes

Titel: Die Insel des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
Vom Netzwerk:
wieder auf und hetzte weiter. In ihren Ohren war das Wimmern zu einer Kakophonie angeschwollen, zu einem hundertfachen Chor. Welcher Irrsinn hatte sie nur dorthin geführt? Wer tat ihr das an? Sie musste weg. Kalter Schweiß tränkte ihre Kleider, die sie hochgerafft hatte, um schneller rennen zu können. Ihr ganzer Körper war nur noch eine brutal hämmernde Trommel, weg, nur weg, weg, weg!
    Tränen stürzten aus ihren Augen, und ihr war schlecht, so schlecht. So etwas Grauenhaftes hatte sie noch nie zuvor gesehen, nicht einmal an dem Tag, an dem sie beinahe gestorben wäre. Gestorben, hämmerte ihr Herz, gestorben! Sie fiel wieder hin, japste nach Luft und blieb liegen, immer noch das Wimmern in ihren Ohren, das an- und abschwoll wie der warnende Chor in der Tragödie.
    Aber sie lebte. Sie war nicht tot, sie lebte, sie fühlte. Sie fühlte das Brennen in ihrer Hand, spürte den weichen, feuchten Boden unter ihrem Körper. Sie stützte den Kopf in ihre Hände und versuchte die Kontrolle über ihren Körper zurückzubekommen. Atme langsamer, befahl sie sich, atme! Paula, nicht weglaufen, du musst nachdenken, was zu tun ist.
    Das kannst du nicht vergessen, das wirst du niemals vergessen, egal wie schnell du jetzt rennst. Und auch, wenn du es niemandem sagst, wirst du es wissen.
    Du wirst es wissen.
    Du hast es gesehen, und du hast es gehört.
    Es hat gewimmert.
    Es lebt.
    Es fühlt.
    Paula ging auf die Knie und musste sich übergeben, Krämpfe durchzuckten ihren schmalen Leib, das Abendessen verließ ihren Körper. Sie wischte sich den Mund am Ärmel ihrer Bluse ab und richtete sich auf. Das Wimmern in ihrem Kopf hatte aufgehört und gespenstischer Stille Platz gemacht. Immer noch zittrig versuchte sie nun gleichmäßiger zu atmen.
    Was hatte sie getan?
    Sie musste wahnsinnig sein, der Dschungel machte sie alle verrückt. Sie musste sofort zurück, auf der Stelle! Sie sah sich um, entdeckte ihre Spuren, die geradezu eine Schneise hinterlassen hatten, und lief zurück. Erst langsam, dann im mer schneller und schneller. Und jetzt verfluchte sie die Stille und wünschte sich das Wimmern zurück. Blieb stehen, lauschte und hoffte, aber die Stille blieb.
    Ich muss es finden, ich muss. Sie verlangsamte ihre Schritte, um nur ja nicht in die Irre zu gehen, untersuchte den Boden und die Äste auf Fußspuren und fand schließlich den Weg zurück.
    Dort angekommen bückte sie sich, holte tief Luft und grub mit bloßen Händen den Säugling aus dem riesigen Ameisenhaufen aus, in dem es von roten Ameisen nur so wimmelte.
    Sofort spürte sie zahllose stechende Bisse, die Ameisen verteidigten ihren Schatz, krabbelten die Arme hoch in die Ärmel, in ihre Achseln, hoch zu ihrem Hals, überfielen sie zu Dutzenden. Paula biss die Zähne zusammen, zog den Säugling hoch und erschrak, als sie die pulsierende, monströs dicke und rot geschwollene Nabelschnur an seinem Bauch sah. Dann erkannte sie, dass das Pulsieren von unzähligen wimmelnden Ameisen herrührte, die dabei waren, die Nabelschnur zu zerlegen und zu fressen. Sie schluckte, beeilte sich dann, die Ameisen wegzuschnippen, und erschrak, als plötzlich die ganze Nabelschnur abfiel.
    Das war ihre Chance, sie befreite das Kind von den restlichen Ameisen, nahm es auf den Arm, dann schüttelte und drehte sie sich auf der Stelle, um die Ameisen von sich herunterzubekommen. Sie musste weg von dem Haufen, denn die Biester begannen nun auch ihre Füße zu attackieren, im Laufen versuchte sie weitere Ameisen loszuwerden und die restlichen zu zerquetschen. In der Nähe des Rinnsales hatte sie es endlich geschafft, blieb keuchend stehen und betrachtete das Kind genauer.
    Es war ein Junge, und er hatte vor allem in der Nähe des Bauchnabels rote und offene Bisswunden, aber er würde es vielleicht überleben. Sie riss mit einer Hand einen Streifen aus ihren Rock, in den sie den Jungen dann wickelte. Sie war überrascht, wie leicht er sich anfühlte, als sie ihn wieder in ihren Arm legte. In diesem Augenblick öffnete er die Augen. Riesige schwarze Pupillen sahen sie an, dann fielen seine Lider sofort wieder zu. Paula war erleichtert, dass die Ameisen seine Augen verschont hatten. Jetzt musst du dich auf den Rückweg konzentrieren, dachte sie und war erstaunt, wie leicht es ihr fiel, jegliche Gefühle im Keim zu ersticken. Und sie verbot es sich, darüber nachzudenken, was dieser Fund für sie und ihre Reisegefährten bedeuten würde.
    Als sie endlich die Stelle mit Lázlós Fußspuren gefunden

Weitere Kostenlose Bücher