Die Insel des Mondes
Kein Lázló.
Jetzt schrie sie doch wütend seinen Namen in den Dschungel: »Lázló!« Nichts. Sie wandte den Blick nach oben, er saß ja wohl nicht etwa oben in einem Baum und lachte sich ins Fäustchen über ihre Unfähigkeit?
Ihre Augen glitten über glatte und geschuppte Stämme, über Äste mit Blättern, über die verholzten Schlingpflanzen, die die Bäume umschlangen wie Fatschenbänder einen Säugling.
Nein, er war nicht da, und das Wimmern hatte auch aufgehört.
Was mache ich hier? Ich wollte nichts anderes, als auf der Plantage meiner Großmutter Vanille anzubauen, und nun stehe ich hier, immer noch Meilen von diesem Ort entfernt, umzingelt von tödlicher Natur. Ich muss zurück, bevor ich mich unrettbar verlaufe. Aber wo, verdammt, war das Rinnsal, in welcher Richtung? Du musst vor allem ruhig bleiben, beschwichtigte sie sich, es kann nicht so schwer sein, schau dich einfach nur nach abgebrochenen Ästen und frischen Fußspuren um.
Sie richtete ihre Augen auf den Boden. Da war eine Rutschspur auf den toten Rindenstücken und Blättern. Erleichtert lief sie darauf zu. In diesem Moment fing das Wimmern wieder an, nein, dachte sie, nein, dieses Wimmern ist nur eine teuflische Fata Morgana in meinen Ohren. Es ist gar nicht da.
Aber es wurde lauter.
»Lázló!«, schrie sie jetzt mehr als wütend. »Wo sind Sie?«
Wenn er wirklich schwer verletzt ist, kann er vielleicht keine lauteren Geräusche von sich geben, mahnte ihre innere Stimme sie. Sie lief zurück, lauschte intensiv, ging wieder ein paar Schritte, dann sah sie sich um. Lázló war defini tiv nicht hier. Wenn er da wäre, müsste er dort drüben, rechts, bei dem Baum mit der gespaltenen Rinde liegen. Aber da war nur ein großer schwarzer Ameisenhaufen, sonst nichts.
Vorsichtshalber trat sie noch ein paar Schritte näher. Nein, da war niemand. Das Wimmern war wieder verstummt. Es blieb still, wenn man von den leisen Fress-, Schwirr- und Summgeräuschen der Insekten absah, von denen es hier wieder jede Menge gab.
Jetzt war es genug, sie musste zurück. Das Blatt auf ihrer pochenden Hand war schon wieder trocken, sie bückte sich nach einem neuen.
Und da sah sie es.
Es war grauenhaft.
Sie rannte weg, wurde vom nächsten Baumstamm wieder aufgehalten, rutschte und stolperte, weg, nur weg von hier. Was für ein barbarisches Land! Was für eine Hölle.
14
Was hilft ein goldener Galgen, so man daran hängen muss?
S o ein Fehler sollte mir nicht mehr unterkommen. Was
für ein dummer Einfall, ausgerechnet sie allein im Lager zurückzulassen. Natürlich gibt sie vor, reinen Herzens zu sein, das muss sie auch, denn es wäre viel zu gefährlich, offen darüber zu reden, was sie umtreibt. Aber ich bin sicher, das ist alles nur Tarnung, und wenn sie nur halb so schlau ist wie ich, dann hat sie ihre Zeit allein im Lager gut genutzt und unsere Zelte durchsucht. Irgendetwas hat sie misstrauisch gemacht, aber ich weiß nicht, was es ist. Immerhin habe ich dafür gesorgt, dass alles genau so aussieht, wie man es sich vorstellt.
Weit kann sie nicht gekommen sein, denn dann hätte sie es finden müssen, und wenn sie es entdeckt hätte, könnte sie mir nicht mehr so unbefangen entgegentreten, dann hätte sie mich zur Rede gestellt. Oder hat sie es gefunden, aber nicht verstanden, was es bedeutet? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Wenn ihre Großmutter die bösartige und zerstörerische Frau war, als die wir sie kennen, und wenn Mme. Kellermann auch nur einen Bruchteil davon geerbt hat, dann wird sie die richtigen Schlüsse ziehen.
Ich fürchte, ich habe es falsch angepackt und sie immer noch weiter verärgert, anstatt sie weich und gefügig zu machen, aber ich werde einfach nicht schlau aus ihr. Nie verhält sie sich so, wie ich es von einem Frauenzimmer ge wohnt bin, ach was, Unfug, ich habe ihr nicht genug Auf merksamkeit gewidmet, habe mich gehen lassen und dem Dschungel erlaubt, die Herrschaft zu übernehmen. Das muss sich ändern, ab jetzt darf ich sie nicht mehr aus den Augen lassen. Ich werde nicht zulassen, dass unsere Familie zweimal an diesen Frauen scheitert. Nicht, nachdem ich Edmond getroffen habe.
15
Geranium
Pelargonium odoratissimum Willd., P. capitatum Ait., und P. roeseum Wild., ergeben ein dem Rosenöl ähnliches, liebliches Öl, es ist meistens gelblich, bräunlich oder grünlich gefärbt, nur das Öl von Réunion besitzt eine schöne grüne Farbe.
P aula stürmte voran, verfing sich in einer Liane, fiel hin,
richtete sich
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