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Die Insel des Mondes

Die Insel des Mondes

Titel: Die Insel des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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Handteller durch ihren Körper. Sie japste nach Luft und entdeckte viel zu spät die Ameisenstraße auf dem Stamm, an dem sie sich abgestützt hatte. Der Schmerz in ihrer Hand war gewaltig, vergleichbar mit dem Stich von drei Wespen, und trieb ihr die Tränen in die Augen. Ruhig bleiben, Paula, das ist nichts wirklich Gefährliches, und es gibt schlimmeren Schmerz, sehr viel schlimmeren.
    Mit verschleierten Augen sah sie sich nach Aloen um, die im Dschungel manchmal auch wuchsen. Hier natürlich nicht, zu wenig Licht. Sie verfluchte sich, sie verfluchte diese elende Insel, und sie verfluchte vor allem Lázló und ihre Nase, die sie hierher gelockt hatte. Sie musste noch ein Stück weiter klettern, dann hatte sie endlich den tiefen Absatz erreicht. Sie bekam nur schwer Luft, ihr Handteller war schon auf das doppelte angeschwollen.
    Hier unten floss ein schmales Rinnsal. Es sah aus, als wäre es der Abfluss aus einem übervollen Fluss oder Bach. Paula roch nichts mehr von schwarzer Ambra, nur noch Moder, Pilze und süßlich verrottende Pampelmusenschalen. Na bravo, Paula, lobte ihre innere Stimme, ein Glanzstück, diese ganze Anstrengung umsonst, jetzt musst du wieder hochklettern, und oben angekommen musst du dir auch noch Kommentare über deine schlechte Verdauung und über deine Unachtsamkeit anhören. Sie wandte sich zurück zum Hang, aber aus den Augenwinkeln heraus hatte sie etwas wahrgenommen. Sie drehte sich zurück und suchte nach dem, was da gerade ihre Aufmerksamkeit erregt hatte.
    Fußspuren, da waren Fußspuren. Jemand war hier gewesen. Keine nackten Füße, sondern es waren Abdrücke von Schuhsohlen. Sie stellte ihre Füße daneben, die Abdrücke waren viel größer, und weil sie frisch waren, konnten sie nur von jemandem aus ihrer Gruppe sein, Villeneuve, Morten oder Lázló. Ich werde ihnen nachgehen, bevor ich die ande ren alarmiere, beschloss sie, wo ich schon mal hier unten bin.
    Aber sie fühlte sich nicht wohl. Hier zwitscherten über haupt keine Vögel, und sie hörte nicht einmal mehr Insekten. Nur ihren raschelnden Rock. Es war hier unten noch dämm riger als sonst im Regenwald, die Sonnenstrahlen wurden schon weit oben von den Blättern der hohen Bäume abgefangen, die nur wenig dunkelgrün gefiltertes Licht zu ihr nach unten durchließen. Mit jedem Schritt, den sie den Fußspuren am Rinnsal entlang nach Süden folgte, stieg ihre Beklemmung. Sie sah sich ständig um, so wie vorhin am Lager, aber außer ihr war niemand da. Ich sollte zurückgehen, dachte sie. Und zwar so schnell wie möglich, doch ihre Füße trugen sie weiter vorwärts. Es widerstrebte ihr, laut nach Lázló zu rufen, das wäre so, als ob man Geister aus dem Grab rufen würde, hier sollte man flüstern.
    Paula blieb stehen, wischte die Tränen aus ihren Augen und bückte sich nach einem feuchten Blatt, das sie auf ihre Handfläche presste, um den Schmerz zu lindern. Wenn ich ihn in den nächsten Minuten nicht finde, dann muss ich wieder zurückgehen. Das Rinnsal wurde breiter, und plötzlich waren die Fußspuren verschwunden, als ob sie nie da gewesen wären.
    Paula starrte entgeistert auf das Wasser. Weg. Einfach weg. Lag das daran, dass seine Spuren überspült worden waren, hatte ihn das Rinnsal verschlungen, oder war Lázló von hier nur in eine andere Richtung gelaufen?
    Ein leises Wimmern drang an ihre Ohren. Lázló! Sie versuchte sich zu konzentrieren, von wo kam das? Sie musste das Rinnsal verlassen und sich nach links, weiter in den Wald schlagen. Wie hatte Lázló das nur geschafft? Sie schlängelte sich unter zwei umgestürzten Baumstämmen hindurch, lief schneller, quetschte sich durch eine Hecke aus dichten grünen Blättern, immer in die Richtung, aus der das Wimmern kam.
    Lázló musste verletzt sein, und sie hatte kein Gewehr dabei, um die anderen zu verständigen. Ich wollte auch nur kurz austreten, beschwichtigte sie sich, diese Suchaktion war nicht geplant. Ob die andern sie schon vermissten? Noria und die Träger würden sie sicher finden, würden die abgebrochenen Ästchen sehen, die frischen Trittspuren. Lázló musste doch auch welche hinterlassen haben, fiel ihr ein, aber der Wald wirkte völlig unberührt von menschlichen Spuren, nur das Wimmern wurde noch lauter. Sie atmete tief ein und aus und klebte sich noch ein feuchtes, kühles Blatt auf ihren heiß pochenden Handteller.
    Keine Spur von Lázló. Nichts.
    Das Wimmern musste irgendwo hier aus der Nähe kommen. Sie drehte sich einmal um die Achse.

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