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Die Insel des Mondes

Die Insel des Mondes

Titel: Die Insel des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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all den anderen Tieren, die sein kleiner Körper angelockt hätte. Und wie hübsch er ist«, flüsterte Lázló und klang so sanft wie ihr großer Bruder Jo, wenn er sie zu etwas verführen wollte, vor dem sie Angst hatte, wie damals zum Schwimmen. Sie konnte nichts sagen, starrte nur auf den Jungen. Johannes-Karl.
    Unwillkürlich senkte sie ihren Kopf näher zu dem Kind. Es roch frisch, erinnerte an holzigen Tabak, aber dann, sie konzentrierte sich, nach dem ersten Eindruck verströmte seine Haut eine Süße, die alles Bittere aus ihr herauszog und etwas sehr Weiches und Sanftes zurückließ. Zuerst war sie nicht sicher, doch dann erkannte sie es. »Oud«, flüsterte sie. Oud, so nannten es die Araber, und die Japaner sagten Kyara, duftendes Holz, Adlerholz oder Paradiesbaum, und das Öl, das aus seinem Harz gewonnen wurde, war teurer als Gold.
    »Oud?«, fragte Lázló, der seine Umarmung lockerte. Paula hielt das Kind trotzdem fest. »Ein seltsamer, aber ein schöner Name.«
    Sie konnte jetzt wieder ganz ruhig atmen. Sie schnupperte noch einmal an dem Jungen und dachte nach. Dieses Kind hatte nichts von ihrem Bruder, aber Johannes-Karl war ein guter Name. Der Starke. Und dieses Kind musste stark sein. »Sein Name sollte einer von dieser Insel sein.«
    »Ein guter Gedanke, und wie sollen wir ihn bis dahin nennen?«
    Paula holte tief Luft und war plötzlich ganz sicher. Johannes Karl war zu groß für diesen Winzling, aber Jo, das würde gehen. »Jo.«
    »Jo«, wiederholte Lázló, und dann grinste er sie an. »War doch gar nicht so schwer.«
    Sie betrachtete Jo, und er war ihr immer noch fremd, aber sie hasste ihn nicht länger. Verwundert konnte sie sich jetzt eingestehen, dass sie dieses Kind wirklich gehasst hatte. Sie drückte Jo fester an ihre Brust und schämte sich.
    Lázló erhob sich und suchte etwas in seinem Sack. »Nachdem das mit dem Namen nun geklärt wäre: Hier sind Stücke von Süßholzwurzel, die habe ich gestern im Dorf gekauft. Daran kann er lutschen, das wird ihn beruhigen.
Aber jetzt müssen wir darüber reden, was wir wegen des Drongos machen. Die Sonne ist schon untergegangen, es wird gleich vollkommen dunkel sein.«
    Paula war außerstande, über irgendetwas nachzudenken, sie fühlte sich, als ob sie gerade ein schweres Fieber überstanden hätte, sie wollte sich nur noch irgendwo hinlegen, zusammenrollen und schlafen.
    Sie sah zu Lázló. Sein sonst so glattes Gesicht wirkte eingefallen, und seine pfauenblauen Augen lagen tief in den Höhlen. Seine Kleider waren genauso feucht und schmutzig wie ihre, und an den Händen hatte er blutige Schwielen von der Arbeit mit den Buschmessern.
    Seine Augenbrauen waren fragend nach oben gezogen.
    »Ich bin müde, ich glaube nicht, dass ich noch einen klaren Gedanken fassen kann. Wir sollten schlafen und morgen früh weitersehen.«
    Lázló zuckte die Schultern, dann reichte er Paula Jos Tücher, damit sie ihn wieder einwickeln konnte.
    Danach bauten sie sich ein improvisiertes Nachtlager aus den Moskitonetzen und ihren Matten, und weil es einfacher war, luden sie alles unter ein Netz, und keiner von ihnen dachte darüber nach, ob es schicklich war. Jo legten sie zwischen sich, und auf der jeweils anderen Seite platzierten sie die Buschmesser.
    Sie hatte erwartet, dass ihr die Augen zufallen würden, sobald sie sich hingelegt hatte, aber sie war zu aufgewühlt, außerdem fraß der Hunger an ihren leeren Eingeweiden. Morgen mussten sie eine Lösung finden, damit sie so schnell wie möglich zu den anderen zurückkonnten. Die anderen. Sie war überrascht, wie wenig es ihr ausmachte, dass Lázló ihren peinlichen Zusammenbruch erlebt hatte. Und sie wusste, dass er nichts davon verraten würde. Das leise Schnarchen verriet ihr, dass er schon eingeschlafen war, sie beneidete ihn, weil er so mühelos mit all diesen Strapazen zurechtkam, aber etwas daran machte ihr Angst. Und als sie sich über Jo hinweg zu Lázló hinüberbeugte, um an ihm zu riechen, da wurde ihr klar, dass nicht er ihr Angst machte, sondern sie Angst um ihn hatte. Neben der schwarzen Ambra war da etwas schwer zu Fassendes, ein grauer Geruch, den sie auch bei ihrem Bruder wahrgenommen hatte, kurz bevor er gestorben war. Nach dieser Erkenntnis konnte sie erst recht nicht schlafen, und so lag sie wach, lauschte den Geräuschen des Dschungels und fiel erst nach Stunden in einen unruhigen Schlaf.

21
    Mathildes Brief
    Ambalava, am Abend des 10. August
    Meine liebe Florence,
    in Wahrheit hat meine

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