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Die Insel des Mondes

Die Insel des Mondes

Titel: Die Insel des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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weiter. Paula dachte fieberhaft nach, und es waren ihre klopfenden Ameisenbisse, die sie auf eine Idee brachten. »Die Moskitonetze! Früher hat man das doch auch so gemacht, wir legen die Netze aus und warten, dass ein Drongo darin landet.«
    Lázló lachte. »Warum sollten die uns ins Netz gehen?«
    »Wir müssen sie anlocken, sie lieben Insekten.«
    »Der Drongo kommt selten auf den Boden herunter.«
    Paula seufzte. »Und je länger ich darüber nachdenke, desto schlechter finde ich die Vorstellung, dass wir einen Vogel töten, ohne zu wissen, ob uns das nützlich sein wird. Noch dazu einen heiligen Vogel. Nein, es ist keine gute Idee, wir sollten das wieder vergessen. Es muss einen anderen Weg geben.«
    In diesem Augenblick drang das vertraute Wimmern aus dem Bündel an Paulas Brust.
    »Er hat Hunger.« Sie alle hatten vorhin nicht einen Moment an das Kind gedacht.
    Der Junge schrie lauter, Paula schaukelte ihn sanft hin und her, während sie verzweifelt überlegte, was sie jetzt tun sollte.
    »Er …« Lázló unterbrach sich und sah sie verschlagen an. »Wenn Sie ihm einen Namen geben, zaubere ich etwas zu essen herbei.«
    »Nennen Sie ihn doch, wie Sie wollen, aber tun Sie etwas, damit er zu weinen aufhört.«
    »Sie sind die unnatürlichste Frau, die mir je untergekommen ist.« Lázló nahm ihr den Jungen ab und legte ihn sich mit leisem Summen über die Schulter.
    Unnatürlich! Das waren genau die Worte, die ihr Mann verwendet und die ihre Mutter wiederholt hatte, und danach der Arzt und der Richter.
    Unnatürlich. Worte mit u. Unnatürlich, unfruchtbar, ungehorsam.
    Lázlós Worte rammten sich wie Dolchstöße in ihren Leib, ritzten ihre schlecht verheilte Narbe auf, strömten durch ihren Körper wie Gift, ballten sich zusammen zu Wogen von Schmerz und nahmen Paula die Luft zum Atmen. Sie krümmte sich, schützte ihren Bauch, in dem ihre lange Narbe angefangen hatte zu stechen, sackte zusammen auf die feuchte Erde, in ihren Ohren dröhnte es, und sie spürte wieder diesen entsetzlichen Schmerz.
    Der Schmerz, der gekommen war, nachdem ihr Mann den Befehl gegeben hatte, ihren Bauch aufzuschneiden, um sein Kind zu retten. Zuerst hatte sich der Arzt geweigert, weil sie ja noch nicht tot war, doch ihr Mann hatte sich wie immer durchgesetzt.
    Und sie schnitten das Kind heraus. Ein Kind, das aussah wie ein kleiner Mongole, das kaum Luft bekam und dessen Herz drei Tage später aufgehört hatte zu schlagen. O ja, sie war unnatürlich und unweiblich und unglücklich.
    Sie wiegte sich auf ihren Knien vor und zurück, ihr Bauch krampfte. Würde das denn nie aufhören? Hatte sie nicht jede Erinnerung daran ausgemerzt? Trockenes Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, würgte sie. Es gab ja doch kein Entrinnen für sie, sollten ihre Verfolger kommen und sie bestrafen.
    Lázló hockte sich neben Paula, legte seinen Arm um sie und versuchte sie zu beruhigen. »Es tut mir leid«, murmelte er.
    Sie schüttelte seinen Arm ab. Was wusste er schon? Dieser lächerliche, lustgesteuerte Schönling hatte keine Ahnung.
    Er blieb trotzdem dicht neben ihr sitzen, und Paula versuchte sich zu beruhigen. Es war ihr entsetzlich peinlich, dass sie so dermaßen die Fassung verloren hatte. Aber es gelang ihr nicht, sich wieder zu fangen, Lázló hatte eine Schleuse geöffnet. Noch nie hatte sie es sich erlaubt, an diesen Tag zurückzudenken. Nicht an den Geruch nach Kamp fer, nach Äther, nach Blut, nach Eingeweiden, nach Eisen und Salz. Das alles hatte sie aus ihrem Gedächtnis verbannt und mit anderen Düften betäubt. Und sie war so sicher gewesen, dass sie das längst hinter sich gelassen hatte, in Europa, in ihrem verhassten alten Leben. Dieser Wahnsinn hatte keinen Platz hier, mitten im Dschungel, wo es wichtigere Dinge zu erledigen gab. Das trockene Schluchzen ging über in lautloses Weinen. Tränen regneten auf ihre Knie.
    Unnatürlich. Unnatürlich. Unnatürlich.
    Lázló hörte auf zu sprechen, wickelte das Kind aus dem Tuch, legte es nackt in Paulas Arm und hielt sie beide so fest, dass sie den Jungen nicht einfach fallen lassen konnte. Jetzt tropften ihre Tränen auf die Wangen des Jungen, der sie mit großen Augen ängstlich und stumm ansah. Instinktiv wischte sie sein Gesicht trocken.
    »Was immer geschehen ist, das ist vorbei. Aber wenn Sie daran festhalten, wird es nie vorbei sein, es wird Sie daran hindern zu leben. Und das ist wirklich unnatürlich. Sehen Sie sich dieses Kind an. Es wäre schon tot, gefressen von Ameisen und

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