Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel des Mondes

Die Insel des Mondes

Titel: Die Insel des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
Vom Netzwerk:
hätten sie ihr Angst gemacht.
    Sie setzte sich auf. Die nächsten Schreie klangen wütend und hinterließen in ihrem Magen, der sich in ein leeres, hungriges Loch verwandelt hatte, ein zorniges Echo. Dann erst sah sie sich um und bemerkte, dass sie ganz allein war. Lázló und der Junge, nein, Lázló und Jo waren nicht da. Sie stand auf und streckte sich, betrachtete die Bisswunden der Ameisen. Die meisten waren abgeschwollen und fingen an zu verheilen. Sie fühlte sich trotz des Hungers viel besser als gestern, aber sie hatte quälenden Durst.
    Paula suchte ihre Flasche und trank von dem Wasser, das unangenehm warm auf ihrer Zunge pappte. Sie brauchten eine saubere Quelle, denn sie hatten kein Feuer, um anderes Wasser abzukochen. Der nächste Schrei war so laut und klagend und nah, dass sie zusammenzuckte und unwillkürlich nach oben sah.
    Nichts. Gerade als sie den Kopf wieder senken wollte, sah sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung, ein schwarz-weißes Tier sprang von einem Ast zum anderen, etwa fünfzehn Meter über ihr. Das also waren die Indris, die heiligen Lemuren, mit ihren langen Schwänzen, dem schwarz-weißen Fell und Gesichtern wie Bären. Aber das Schönste waren die großen Augen, die neugierig zu ihr herunterblickten. Paula hielt die Luft an, verharrte regungslos, um sie nicht zu verjagen, und starrte ebenso neugierig hinauf. Niemand hatte ihr erzählt, wie witzig die schwarzen Fellbüschel aussahen, die den Indris aus den Ohren wuchsen. Ein zweiter Lemur sprang auf den gleichen Baum, griff sich mit dem ausgestreckten Arm ein Büschel von Blättern und fing an, daran zu knabbern. Paula verstand, warum es Fady war, diese Tiere zu töten, sie waren nicht nur schön, sondern strahlten auch eine erhabene Eleganz aus, wie sie von Ast zu Ast und von Baum zu Baum sprangen.
    Sie schienen sich zu unterhalten, und Paula wünschte sich, sie könnte verstehen, was diese klagenden, schrillen und fiependen Laute zu bedeuten hatten.
    Ein Geräusch hinter ihr veranlasste sie, sich umzudrehen. Lázló und Jo kamen auf sie zu.
    »Guten Morgen!«, Lázló verbarg eine Hand hinter seinem Rücken und reichte ihr mit der anderen Jo, der sich trotz der Hitze merkwürdig kalt anfühlte. Unwillkürlich drückte sie ihn an sich, er roch weniger intensiv als gestern, aber der Geruch war noch da. Oud, dieser balsamische Holzrosenduft, der alles Bittere aus ihr herauszog.
    »Wo sind Sie gewesen?«
    »In dieser Richtung«, er zeigte hinter sich, »liegt ein kleiner Teich. Jo und ich waren so schmutzig und verschwitzt, wir haben gebadet, und Jo mochte es.«
    Paula betrachtete den Jungen, der mit weit offenen Augen, aber sehr zufrieden in ihrem Arm lag. »Er müsste doch schrecklich hungrig sein, ich jedenfalls komme um vor Hunger.«
    Lázló grinste und holte dann die andere Hand hinter seinem Rücken hervor. Paula erkannte den Duft, bevor ihre Augen sahen, was es war. Honig! Auf einem Palmblatt lagen einige zerbrochene Waben, aus denen etwas gelbrot schimmernder Honig tropfte.
    »Das ist für Sie, wir haben unseren Teil schon gehabt.«
    Sie bat Lázló, ihr Jo wieder abzunehmen, und machte sich gierig darüber her. Sie mochte keinen Honig und hatte noch nie freiwillig welchen gegessen. Aber jetzt verschlang sie ihn wie Ambrosia, leckte erst ihre Finger ab und dann auch noch das Blatt, auf dem er gelegen hatte.
    »Und was machen wir nun?«, fragte sie. »Wo sind unsere Verfolger? Warum hören wir keine Gesänge mehr? Glauben Sie, wir können es schon riskieren zurückzugehen?«
    »Das sind eine Menge Fragen auf einmal.« Er wackelte mit dem Kopf und zuckte mit den Schultern. »Haben Sie sie auch gehört?«
    Paula wusste sofort, dass er die Lemuren meinte, und nickte.
    »Es war eine große Gruppe, vielleicht haben unsere Ver folger sie auch gehört oder gesehen. Und es wäre möglich, dass sie das als Zeichen werten und sich zurückziehen.« Lázló seufzte. »Andererseits, wenn es gar nicht um uns geht, sondern nur um einen Zauberer, der seine Machtposition bestätigt wissen will …«
    »Aber es ist still«, sagte Paula und legte demonstrativ die Hände an ihre Ohren, »und wenn uns keiner mehr verfolgt, dann sollten wir zurückgehen, sonst holen wir die anderen nie mehr ein.«
    »Der Plan ist völlig aberwitzig, und alles nur, weil wir keine Karte und keinen Kompass haben und uns einzig und allein auf Noria verlassen.« Lázló senkte den Kopf. »Das mit der Karte ist meine Schuld. Villeneuve hatte beides, aber ich habe es

Weitere Kostenlose Bücher