Die Insel des Mondes
Feder vorhin nicht wegen meines Alters gezittert, sondern es war die Erinnerung an das Zusammensein mit Edmond, die auf mich eingestürmt ist, was ich sehr lange nicht zugelassen habe, denn es hält mich von der Arbeit ab. Und genau diese Erinnerung peinigt mich, denn sie führt mir vor Augen, wie begehrenswert dieser Mann ist und wie viel jünger als ich. Dann überfällt mich die Unsicherheit. Ja, mein Kind, ich weiß, es fällt Dir schwer, mich so schwach zu sehen, aber so ist es nun mal, immer öfter quälen mich Zweifel. Das ist teuflisch, denn diese Zweifel vergiften nicht nur die Gegenwart, nein, sie beschmutzen auch die gemeinsame Vergangenheit, meine kostbaren Erinnerungen, und dann machen sie mir noch dazu Angst vor der Zukunft. Deshalb verbiete ich mir, daran zu denken, wie zärtlich dieser Mann sein kann, wie leidenschaftlich und wie hingebungsvoll.
Und ich denke nicht darüber nach, warum er meine Briefe nicht beantwortet, auch wenn er alle Zeit der Welt hätte, in dem Gefängnis, in dem er immer noch sitzt, und wo er doch weiß, was es mir bedeuten würde, von ihm zu hören. Wozu habe ich ihm das Lesen und Schreiben beigebracht, wenn er mich jetzt so darben lässt? Du siehst, auch Deine Mutter ist nicht gefeit davor, sich zu einer lächerlichen Schwester von Othello zu machen, ein Vergleich, den ich für uns übrigens ganz besonders passend finde.
Nicht nur wegen unserer Hautfarben, sondern auch wegen dieser ganz besonderen Leidenschaft, von der ich Dir so gern ausführlich erzählen würde. Doch ich möchte Dich nicht mit Details von Edmonds und meinem Liebesleben in Verlegenheit bringen, ich bin sicher, das würde Dir nicht gefallen. Nur so viel möchte ich Dir sagen: Wenn Du jemals die Wahl hast zwischen dem, was schicklich ist, und dem, was Dein Herz Dr sagt, dann begehe nicht den Fehler, Dich für das Schickliche zu entscheiden, auch wenn das der leichtere Weg ist. Du hast nur ein Herz, aber Du hast immer die Wahl, was Du ihm befehlen willst: Herz, stirb oder singe!
O Gott, meine liebe Florence, entschuldige, ich bin etwas vom Thema abgekommen. Nachdem Edmond mich zu seinem Weib gemacht hatte, gaben wir uns große Mühe, unser Glück vor allen verborgen zu halten, allein um deinetwillen. Und zu Beginn gelang es uns auch sehr gut. Du erinnerst Dich sicher, dass ich unbedingt herausfinden wollte, warum Edmond Monsieur Beaumont so liebte und warum der ihn umgekehrt so verabscheute. Doch immer, wenn ich mich Edmond gegenüber in Andeutungen erging, zog er mich in seine Arme und flüsterte mir ins Ohr, dass mich das nichts anginge und überhaupt nur meiner überhitzten weiblichen Einbildungskraft entsprungen sei.
Aber Du kennst mich, ich ließ nicht locker und unterbreitete ihm meine Theorien, für die ich mich absichtlich aus der Welt des Romans bediente, um ihn zu erheitern oder zum Widerspruch anzuregen. Ich behauptete, Beaumonts Frau sei Edmonds Geliebte gewesen, was ihn immerhin amüsierte, denn Madame Beaumont hatte nur zwei Laster. Das eine waren Leckereien, die ihren Bauchumfang mit den stattlichsten Fässern konkurrieren ließen, und das zweite war, wenn eine Mutter wie ich das überhaupt so sagen darf, ihr kleiner Sohn Louis, der ersehnte Erbe, der von ihr schlimmer gehätschelt wurde als ein Schoßhund und sich wie ein verzärtelter Prinz gebärdete. Mein nächster Vorschlag, dass es Monsieur selbst sei, der mit ihm ein Verhältnis habe, ärgerte Edmond, brachte ihn aber immer noch nicht zum Reden. Erst als ich mich so weit verstieg, zu behaupten, dass Monsieur Beaumont in einem Bordell oder mit seinem Hund intim gewesen sei und Edmond dies wisse und darüber schweige, da wurde er weich. Er konnte nicht begreifen, dass ich seinem edlen Herrn so etwas unterstellt hatte, und nur um mir klarzumachen, wie falsch ich lag, redete er endlich.
Jetzt fällt mir doch der Federhalter fast aus der Hand, das kommt von der harten Arbeit draußen auf dem Vanillefeld. Ich werde morgen früh weiterschreiben.
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Linaloe
Aus dem Holze des mexikanischen Citronenbaumes Elaphrium graveolens Knuth wird durch Destillation und Dampf ein sehr angenehm riechendes ätherisches Öl gewonnen, das zur Bereitung verschiedener Parfümeriekompositionen Anwendung gefunden hat.
A m nächsten Morgen erwachte Paula von merkwürdi gen Schreien. So etwas hatte sie noch nie gehört. Laute, lang gezogene Töne, wie ein Fiepen aus einer anderen Welt. Nah, sehr nah, und wenn diese Laute nicht von weit oben gekommen wären,
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