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Die Insel des Mondes

Die Insel des Mondes

Titel: Die Insel des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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einfach ist, dann wird es in Deinen Augen vielleicht sein Verdienst schmälern. Aber ich sehe das nicht so, denn jahrelang ist niemand auf diese Idee gekommen. Die Erfindung des Rades wirkt auf uns heute auch logisch und zwangsläufig, aber bevor es das Rad gab, war davon nicht die Rede.
    Also, um es kurz zu machen, Edmond hat mithilfe eines kleinen Kaktusstachels das Jungfernhäutchen der Blüte durchstochen. Es liegt zwischen dem männlichem Pollenpaket und der weiblichen Blütennarbe. Danach hat er Pollen und Narben aufeinandergedrückt und sie so befruchtet. Außerdem hat er herausgefunden, dass die Vanille am besten wird, wenn man sie zwischen sechs Uhr morgens und zwölf Uhr mittags bestäubt. Und genauso wird es seitdem gemacht. Jede Blüte muss von Hand befruchtet werden, so wie jede der grünen Schoten dann von Hand geerntet werden muss. Danach werden sie gekocht, genau drei Minuten bei genau sechzig Grad, und dann holt man sie aus dem kochenden Wasser und wickelt sie in Tücher ein, damit sie fermentieren können. Denn nur dann entwickeln sie ihren köstlichen Duft und Geschmack. Jeden Tag werden die Schoten wieder ausgewickelt und zum Trocknen in die Sonne gelegt – immer mit dem Blick zum Himmel, weil ständig Wolkenbrüche drohen. Nach ein paar Stunden werden sie wieder in die Tücher gepackt, damit sie weiter reifen können, und das wiederholt sich drei Monate lang Tag für Tag für Tag. Die Erntezeit beginnt Ende Juli, Anfang August, also im Winter, wenn es immer wieder regnet.
    Edmond liebte all diese Arbeit, liebte es zu sehen, wie die Vanille sich von der dicken grünen Schote zur dünnen schwarzbraunen Köstlichkeit entwickelte. Nur deshalb hatte er nicht im Haus arbeiten wollen, er war zwar ein Sklave gewesen, aber niemals ein Diener.
    Nun, nachdem ich erfahren hatte, dass dieser reiche Pflanzer nicht im Traum daran dachte, auch nur einen winzigen Bruchteil seines Vermögens an Edmond auszuzahlen, um es ihm zu ermöglichen, ein selbstständiges Leben zu führen, da wusste ich, warum Beaumont ihn so hasste, und mir war klar, dass er nicht zögern würde, sich Edmond vom Hals zu schaffen.
    Ich hoffe, Du musst niemals erleben, dass Dein Mann vom Schicksal so behandelt wird. Jedenfalls war ich empört, dass dieser wunderbare Mann, den ich ja gerade um seiner Sanftheit willen so liebte, nichts dabei fand, sich dermaßen ausnutzen zu lassen. Ich musste etwas tun.
    Dazu würde ich mich aber offen zu Edmond bekennen müssen, und das wiederum, meine geliebte Florence, wollte ich Dir nicht antun, und deshalb habe ich Dich nach Europa geschickt. Du hast mich dafür geliebt, denn Du durftest mit Marie und Josephine und deren Gouvernante reisen. Die beiden sollten dort den letzten Schliff erhalten, aber vor allem respektable Ehegatten finden, von denen es in den Kolonien nicht gerade wimmelte.
    Fast mein ganzes Geld hatte ich dafür bezahlt, dass sie Dich mitnahmen und zu Deinen Großeltern nach Strasbourg brachten. Und soweit ich weiß, bist Du dort wohlbehalten angekommen. Trotzdem hatte ich ein schlechtes Gewissen, denn ich wusste ja, dass diese dummen Geschöpfe kein guter Umgang für Dich waren, aber zu dieser Zeit hatte die Leidenschaft meine Muttergefühle erfolgreich überwältigt. Und ich hatte ja keine Ahnung, in was für ein Unglück ich uns alle stürzen würde.

25
    Myrrhe
    Dieses schon im Altertum bekannte und geschätzte Gummiharz ist der an der Luft eingetrocknete Saft von Balsamodendron Myrrha Nees, eines in den Küstenländern des Roten Meeres, in Afrika bis zur Somaliküste heimischen Strauches.
    P aula trat näher an dieses hauchzart gewebte goldene
Wunder und konnte ihren Blick nicht abwenden. Es war so schön, dass man beinahe vergessen konnte, wer Lázló auf dem Gewissen hatte, und sie bedauerte, dass sie es nicht für Lázlós Verwandte und ihre Reisegefährten festhalten konnte, denn niemand würde so etwas für möglich halten.
    Sie drückte Jo fester an sich, sank in die Knie, sagte das Gedicht, das ihr jetzt passender erschien als ein Gebet, und versprach Lázló, dafür zu sorgen, dass man ihn niemals vergäße. Danach schnitt sie ein paar braunrote Orchideen und legte sie am Fuße des goldenen Schleiers ab.
    »Jetzt können wir gehen«, sagte sie zu Jo, atmete tief durch, marschierte los und konzentrierte sich darauf, den Weg zurück zur Jasminspur zu finden. Sie kam an dem nun ausgetrockneten Schlammloch vorbei, in dem man noch genau erkennen konnte, wo er und sie gelegen

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